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Bistum Chur

Predigt von Bischof Vitus Huonder anlässlich des Priestertages vom 24. September 2018 in Chur

Meine lieben Mitbrüder

am 21. April 2013 wurde der Erzpriester von Sondrio, Nicolò Rusca seliggesprochen. Am 4. September 2018 waren es vierhundert Jahre seit seinem Martyrium in Thusis. Deshalb werde ich zum kommenden Tag der Menschenrechte diesem Seligen ein Bischofswort widmen. Mit dem Tag der Menschenrechte gibt es insofern einen Zusammenhang, als der Selige unter der Folter star­b.
Nicolò Rusca wurde am 20. April 1563 in Bedano, im heutigen Kanton Tessin (damals Bistum Como) geboren. Das Jahr 1563 war für die Kirche ein bedeutendes  Jahr. Es war der Wendepunkt des Konzils von Trient (vgl. Jedin, Kleine Konziliengeschichte 100). Das Konzil kam aus einer schweren Krise heraus und verabschiedete am 15. Juli in seiner 23. Sitzung das wichtige Dekret über die Errichtung bischöflicher Pries­terseminare. Zur Diskussion kam auch eine 42 Artikel zählende Vorlage für die Reform der Kirche. Sie wurde in den Sitzungen vom 11. November und vom 3. sowie 4. Dezember angenommen und regelte insbesondere die Ernennung und die Amtspflichten der Kardinäle und der Bischöfe, die Veranstaltung von Diözesansynoden und Provinzialkonzilien, die Visitation der Diözesen durch den Bischof, die Reform der Domkapitel, die Besetzung der Pfarreien und die Pfarrpredigt. „Dies­es Reformdekret bildet den Kern dessen, was man gewöhnlich als ‚tridentinische Reform‘ bezeichnet. Ihr inneres Gesetz lautet: Das Heil der Seelen ist maßgebend“ (Hubert Jedin, 101). Die 25. Sitzung vom 3. sowie 4. Dezember war die Schlusssitzung. „Das Konzil von Trient war die Antwort des höchsten kirchlichen Lehramtes auf die protestantische Reformation“ (Jedin, 102).
Nicolò Rusca war ein Priester, der ganz im Sinne des Konzils handelte und seinen priesterlichen Dienst als Dienst an den Seelen betrachtete. Das Heil der Seelen war das Ziel seines Wirkens. Seine Ausbildung erhielt er in Pavia und Rom. Schließlich besuchte er sieben Jahre lang das Collegium Helveticum in Mailand, Institution, welche der heilige Karl Borromäus im Sinne des Konzils von Trient eigens für Priesteramtskandidaten aus Gebieten der Eidgenossenschaft und deren Untertanenländer gegründet hatte (1581). Auf diese Weise konnte Nico­lò Rusca den bekannten Erzbischof von Mailand persönlich kennen lernen. Eine Biographie aus dem siebzehnten Jahrhundert berichtet, bei einem Besuch im Seminar hätte der Kardinal ihm gesagt: „Mein Sohn, kämpfe den guten Kampf. Vollende den Lauf. Denn für dich steht der Kranz der Herrlichkeit bereit, den dir der gerechte Richter einst geben wird“ (vgl. 2 Tim 4,7-8). War das eine Anspielung auf sein Martyrium?
1587 empfing Nicolò die Priesterweihe. Sein erster Einsatz als Priester erfolgte 1588 in Sessa, nicht weit von Lugano. Bereits 1590 wird er als Erzpriester nach Sondrio berufen. Dort setzte er sich für die katholische Reform ein. Vor allem war es seine Gabe, wie wir es heute sagen würden, Überzeugungsarbeit zu leisten. Wort­gewandt führte er viele Menschen zum katholischen Glauben zurück. Verunsicherte festigte er. Unwissende belehrte er. Er förderte vor allem das Verständnis für das heilige Messopfer und das Sakrament der Beichte. Er war auch offen für den Dialog mit jenen, welche sich vom katholischen Glauben losgesagt hatten oder ihn bekämpften. Eines seiner Haupt­anliegen war, den Gegner nie zu beleidigen oder mit harten Reden zu beschimpfen.
Sein Erfolg missfiel den nicht katholischen Behörden der Drei Bünde, zu deren Untertanengebiet Sondrio gehörte. Sie suchten nach Grün­den, ihn loszuwerden und stellten schließlich einen zweifelhaften Katalog von Delikten zusammen, den sie in einem Gerichtsverfahren in Thusis vorlegten.
Der Prozess, der zum Martyrium führte, dauerte vom 1. bis zum 4. September 1618. Eine beeindruckende Darstellung seines Verlaufs aus dem Jahre 1627 stammt aus der Feder des Abtes von Pfäfers, Augustin Stöcklin. Daraus zitiere ich zwei Stellen. Sie geben uns eine Ahnung der grausamen, unmenschlichen Behandlung des Pries­ters. Am Folterwerk aufgehängt wird Nico­lò Rusca zum Spielobjekt und Gegenstand der Verhöhnung der Prädikanten. Abt Stöcklin schreibt mit Bezug auf den 3. September: Endlich kam die Bosheit ans Licht, welche die Prädikanten […] schon lange ersonnen hatten. Giovanni Porta, ehemaliger Pfarrer (ministro) von Zizers, begann den armen Geplagten hin und her zu schütteln […] Mit ihm beschimpften auch die beiden Pfarrer (ministri) Blasio Alessandro und Bonaventura Tutsch – nachdem sie den ganzen Tag gegessen und getrunken hatten – den jammernden und zuckenden Nicolò  mit  solchen Lästerungen: „Siehe her, unser Opfer auf dem Altar seines eigenen Schafotts, während er privat die Messe feiert! Seht, wie fromm er sich zeigt! Seht, wie er mit hocherhobenen Händen den runden Götzen (die Hostie) seiner Messe emporhält, damit das Volk ihn anbete! Seht wie er flüsternd die geheimen Gebete des papistischen Kanons spricht!“ Obwohl Nicolò von diesen Qualen zermürbt war, überwand er die Schmerzen mit Freude. Er schien fast zu lächeln, während er so betete, als lese er die heiligen Andachtstexte. Niemand könnte jedoch die Flüche, die Beschimpfungen, die bösen Worte, die Sarkasmen und die teuflischen Schmähungen, welche die Prädikanten ausspieen, wiedergeben: Alles Worte, die dieses Papier nicht beschmutzen sollen!
        Vom Tag danach, dem Todestag (4. September) schreibt der Abt: Er (Nicolò Rusca) richtete die Augen auf den Kanzler des Oberen Bundes und sagte, immer mit milder Stimme […]: „Schrei­be auf, dass ich vollkommen unschuldig bin. Ihr könnt gegen mich das Rad anwenden und mich nach allen Seiten drehen, wie es euch gefällt, ich aber bin bereit für das Zeug­nis des katholischen Glaubens zu sterben“ […] Wie am Vortag […] quälen ihn die Schergen (littori – Gerichtsdiener?) so grausam, dass er fast daran stirb­t. Immer wieder ruft der Märtyrer inmitten der Qualen „Gott, mein Gott, hilf mir“. Jene Schauspieler aber schreien (to­ben): „Er stimmt (summt) in die Vesper ein. Schaut, jetzt hebt er die Arme empor und singt ‚Dominus vobiscum'“. Durch das Ziehen am Seil und die Qualen jener zwei (vergangen) Tage bricht die schwache Natur des Erzpriesters langsam zusammen. Sein Leib, der am Seil hängt, erscheint bereits wie ein Leichnam. Da bricht aber, ohne dass es jemand gemerkt hatte, das Seil, das immer wieder gedreht und hin und her gezogen worden war, und der Erzpriester fällt, mit auf den Rücken gebunden Händen, zu Boden. Die Herz­venen brechen. Die Leute, die angerannt kommen, sehen, wie das Blut aus dem Mund und der Nase des Märtyrers fließt und sein Antlitz sowie den Boden verschmiert […] Inzwischen ordnen die Prädikanten, nachdem das Seil wieder hergerichtet ist, voll Missmut und Wut an, ihn wieder an das Seil zu hängen: Sie denken, dass er nur simuliert und rufen: „Sing uns die Messe“ und anderes solches albernes Zeug. Kurz darauf ruft der Priester die Namen von Jesus und Maria an und haucht seine Seele aus.

Ich möchte hier stehen bleiben. Das Leiden des Seligen war in auffallender Weise mit dem Messopfer verbunden, mit dem Spott der Prädikanten gegen das Heiligste, was unser katholischer Glaube kennt. Es ist offenbar dieser unser Glaube, der am meisten stört. Daran erkennen wir: Diese Gabe Gottes schenkt uns die reich­sten Gnaden. Das ist wohl der Grund, weshalb sie immer wieder derart angegriffen wird.  Amen.