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Bistum Chur

Homilie von Bischof Bonnemain zu Karfreitag

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder

«Da sagte die Pförtnerin zu Petrus: Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sagte: Ich bin es nicht.» Jünger zu sein bedeutet, die Art des Meisters angenommen zu haben, seinen Lebensstil. Die Jüngerschaft verwirklicht sich im Eins werden mit dem Gedanken des Meisters, mit seiner Art zu handeln, zu reagieren, ja zu leben.

In den drei anderen Evangelien wird von der Verleugnung des Petrus ähnlich berichtet. Petrus versuchte, sich zu rechtfertigen mit den Worten: «Ich kenne den Menschen nicht». Jemanden wirklich zu kennen, bedeutet, sein Denken, seine Erwartungen, seine Wünsche, seine Pläne, seine Hoffnungen, seine Vorlieben zu kennen.

Der Karfreitag ist – würde ich behaupten – ein sehr guter Tag, um sich die Frage zu stellen: kenne ich Jesus? Folge ich ihm wirklich? Bin ich sein Jünger, seine Jüngerin? Die heutige Liturgie bietet uns eine wunderbare Möglichkeit, um ihn besser kennen zu lernen, vertraut mit ihm zu werden, ihn schliesslich zu lieben und konsequent, sich zu ihm zu bekennen. Die Passion ist – so betrachtet – eine Schule des Lebens und der Liebe.

Wir haben die Passion gehört, betrachtet und konnten einmal mehr die Geradlinigkeit, die Beharrlichkeit im Guten bis zuletzt seitens unseres Herrn feststellen. Das spornt uns an, ihn nachzuahmen, ihm zu folgen und in allen Umständen – auch unter den widrigsten – für das zu leben und zu sterben, was im Leben Sinn macht. Alle Worte und Taten des Herrn, in all jenen Stunden des Karfreitags, waren Worte und Werke der Liebe, einer einfachen, echten, zärtlichen und starken Liebe.

Es lohnt sich, sich nochmals auf die Worte des Propheten Jesaja, die wir in der heutigen Lesung hörten, zu besinnen:

«Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt.

Zu unserem Heil lag die Züchtigung auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.»

Wir wurden geheilt, wir sind geheilt, wir können auf das umfassende Heil unserer Existenz hoffen, weil Christus am Kreuz nicht aufgehört hat zu lieben, weil er nicht vom Kreuz herabgestiegen ist, auch dort stets an uns gedacht hat. Dieses, an die anderen und für die anderen zu denken und zu handeln, war die Konstante während der ganzen Passion.

Als der Herr gefangen genommen wurde, dachte er nicht an die Möglichkeit, sich zu befreien, sondern setzte sich ein, damit die anderen – seine Jünger – nicht auch gefangen genommen wurden – mit den Worten: «Wenn ihr also mich sucht, dann lasst diese gehen!» Da frage ich mich: werde ich ihn endlich kennen und mir seine Art zu eigen machen? Bin ich bereit, zu ihm zu gehören, ihm nachzufolgen?

Dem Diener des Hohepriesters, der ihn ins Gesicht schlug, entgegnete Jesus: «Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?» In einer so prekären Situation zögert der Herr nicht, sich für ein gerechtes Benehmen einzusetzen, die Gerechtigkeit zur Sprache zu bringen. Dies aber ohne Tadel, ohne Beleidigungen und Aggressionen, gefasst, schlicht, direkt. Als Pilatus ihn über sein Königtum befragte, erklärte Jesus: «Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre,

würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier.» Selbst als Gefangener, total ausgeliefert, verkündet Jesus, dass das Entscheidende nicht das Diesseitige, das Vergängliche, das Prekäre und Banale ist, sondern die Beheimatung im göttlichen Vater. Er eröffnet die endgültige Perspektive der Freiheit, frei von jeglicher Oberflächlichkeit und vermittelt so von seiner Passion aus Optimismus und Zuversicht. Unsere Hoffnung auf den Himmel macht uns noch engagierter für alles, was auf Erden und in der Welt geschieht. Ich frage mich nochmals: Kenne ich meinen Herrn und Gott Jesus Christus? Bin ich wirklich sein Jünger, seine Jüngerin? Versuche ich, ihn nachzuahmen?

Unser Herr – vom Kreuz aus – will Johannes nicht allein lassen, denkt an ihn und seine Zukunft, will Maria die Geborgenheit eines Zuhauses schenken und denkt an ihre Zukunft: «Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.»

Unterwegs auf Golgotha schaute der Herr liebevoll und voll Dankbarkeit zu Simon von Cyrene, zu den Frauen, die am Wegrand klagten und weinten. Er hinterliess eine tiefe Spur, ein Vermächtnis der Zuneigung, der Geschwisterlichkeit. Und er schämte sich nicht die eigene Ohnmacht und Schwäche zu zeigen: «Mich dürstet.» Auch am Kreuz ist er für uns ein Lehrmeister, der seine Gefühle zeigt, sich öffnet. Er ist keiner, der den Superhelden spielen will. Er bittet um Hilfe, er lässt sich helfen und lässt sich lieben.

Liebe Geschwister im Herrn, lieben wir ihn, folgen wir ihm wirklich? Gibt er für uns nicht gerade vom Kreuz aus eine Lebensschule? Auch in dieser Stunde bittet er den Vater um Vergebung für jene, die ihn kreuzigen, verspricht dem Schächer das Paradies und schenkt ihm Hoffnung in seiner letzten Stunde. Er bekennt seine abgrundtiefe Verlassenheit, damit jeder, der sich in einer Sackgasse verloren, im Stich gelassen fühlt, erfahren kann, dass der Herr mit ihm als Mitverlassener vereint sein möchte. Schliesslich ist unser Erlöser bereit, bis zum Schluss alles zu vollziehen, was der Vater ihm anvertraut hat: «Es ist vollbracht!» Er lehrt uns bis zuletzt, dass es sich lohnt bis zuletzt zu leben und zu lieben. Das Leben hat bis zum letzten Augenblick vollen Sinn – unter allen Umständen.

Und unser Gekreuzigter ist die wirksamste, unendliche Schule für das, was einzig im Leben zum Leben führt: sich total und uneingeschränkt dem göttlichen Vater anzuvertrauen, restlos und in jeder Situation, auch in den widrigsten: «Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.»

Liebe Schwestern und Brüder, der Vorsatz der heutigen Liturgie könnte lauten: stets mit erneuerter Intensität, mit bewussterem Bewusstsein jeweils die zwei Sätze des Vaterunsers zu beten: Vater, dein Wille geschehe, dein Reich komme. Jenes Reich Christi, das nicht von dieser Welt, aber für diese Welt ist. Und heute ist auch die Stunde, um dem Herrn zu sagen: Jesus, ich will dich immer besser kennen lernen, vertrauter mit dir werden, dich lieben. Ich werde versuchen, dir konsequenter nachzufolgen. Amen