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Bistum Chur

Homilie von Bischof Bonnemain zum Hohen Donnerstag

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder

Zu Beginn des heutigen Evangeliums erklärt der hl. Johannes, dass, da Jesus die Seinen, die in der Welt waren, liebte, er sie bis zur Vollendung liebte. In der heutigen Abendmahlsliturgie möchte ich sehr gerne bei diesem «bis zur Vollendung» verweilen. Das heisst: bis zum Äussersten, grenzenlos, unendlich, ohne Einschränkungen, ohne Einwände, ohne Voraussetzungen. Die Liebe Gottes umfasst alles und alle. Die Gegenwart des Herrn im Allerheiligsten Sakrament des Altares enthält diese unendliche Liebeskraft und Liebesbereitschaft Gottes. Ich bin aber der Meinung, dass dieses «bis zur Vollendung» im Munde des Herrn auch bedeutet, bis der Kreis jener, die er liebt, vollendet ist. Christus hat sich hingegeben, damit sein Heil alle Menschen erreichen kann. Er will, dass alle Menschen die Seinen werden. Er will alle lieben können. Er will alle lieben, damit alle seine Liebe annehmen.

Ein paar Sätze danach heisst es weiter im Evangelium, dass der Vater ihm «alles in die Hand gegeben hatte». Hier auch nochmals: Gott hat dem Sohn nicht nur einen auserwählten Kreis von Menschen anvertraut, sondern ihm alles und alle für das Werk der Erlösung anvertraut.

Die Liebe, die bei der Fusswaschung der Jünger zum Ausdruck kommt, ist gerade diese Liebe des Herrn, die keine Grenzen kennt und verschwenderisch ist. Es ist eine Liebe, die nicht nach Kalkül handelt, eine Liebe über alle Logik hinweg, ja eine verrückte Liebe. Im Grunde ist die Liebe immer verrückt, wenn es echte Liebe ist.

Wir feiern in der Eucharistie die liebende Hingabe Gottes für die Menschen. So ist es logisch, dass als 1. Lesung jene Stelle aus dem Buch Exodus ausgewählt wird, wo das Opfer des Blutes des Lammes für die Rettung des auserwählten Volkes geschildert wird. Die Häuser, die mit dem Blut gekennzeichnet wurden, wurden gerettet. Das Blut Christi wird gegenwärtig auf dem Altar, um alle Häuser der Weltgeschichte zu kennzeichnen – und nochmals wiederholt – um für alle Menschen in allen Häusern der Welt Heil und Rettung zu sein.

Die älteste Beschreibung des Messopfers finden wir im 1. Brief des Apostels Paulus an die Christengemeinde in Korinth, was wir als 2. Lesung gehört haben. Dort, wo Jesus sagt: «das ist mein Leib für euch» müssen wir dieses Euch in der Perspektive des umfassenden Rettungswillens des Herrn verstehen. In seinem Erlöserherzen bedeutet dieses Euch die ganze Menschheit. Wenn wir anders denken, haben wir das Geheimnis der göttlichen Liebe und das Geheimnis der Eucharistie noch nicht richtig verstanden.

Obwohl beide Lesungen direkt von Opfern für das Heil der Welt sprechen, spricht das Evangelium nicht direkt – könnte man meinen – von der Kreuzigung des Herrn und auch nicht vom Geheimnis der Eucharistie. Tiefer betrachtet trifft dies jedoch nicht zu. Die Fusswaschung stellt symbolisch eine Liebe dar, die bis zum Äussersten, bis zur Vollendung, bis zur letzten Erniedrigung geht. Richtigerweise protestierte Petrus angesichts einer solchen Liebesverschwendung. Darauf erklärte der Herr dem Petrus, dass sie tatsächlich diese Reinigung nicht nötig hätten, dass er dennoch dies tat, als Zeichen der gegenseitigen Liebesverschwendung.

Im Herrn Geliebte, es ist heute der richtige Augenblick, um sich zu besinnen und nachzudenken über unsere Liebesfähigkeit. Wir tun viel Gutes, wir gehen miteinander sorgfältig um, mit Zuneigung, mit Dienstbereitschaft, mit Sympathie, Verständnis, Geduld, Wohlwollen, korrekt, sogar zuvorkommend. Nicht selten aber begnügen wir uns dabei mit einer pragmatischen Haltung. Wir benehmen uns so, wie ich es vorhin beschrieben habe, wenn die Umstände es erfordern, wenn die anderen es erwarten, solange es für uns nicht so schwierig oder unbequem wird, wenn es uns keine aussergewöhnliche Anstrengung kostet. Wo bleibt dann aber das Verschwenderische der Liebe? Nehmen wir die Einladung des Herrn ernst: «Tut dies zu meinem Gedächtnis?» Das heisst: lieben wir bis zur Vollendung, ohne Launen, ohne Unterschiede, ohne Ab- und Ausgrenzungen, ohne Diskriminierungen? Die Fusswaschung war eine totale Extraleistung, das heisst: unaufgefordert, unerwartet, unnötig, unlogisch. Es wäre schön, wenn wir vermehrt Gott gegenüber extra liebevoll handeln würden. Wie oft überraschen wir den Herrn, indem wir nicht nur unsere sogenannten religiösen Pflichten erfüllen, sondern ihn mit Aufmerksamkeiten, mit unerwarteten Geschenken überhäufen?

Es wäre auch ein Zeichen der ernsten Nachfolge Christi – tut dies zu meinem Gedächtnis – wenn wir zu Hause mit den Familienangehörigen, am Arbeitsplatz mit den Kolleginnen und Kollegen, bei sportlichen und gesellschaftlichen Anlässen, ja mitten in der Gesellschaft nicht nur unsere Pflichten pragmatisch erfüllen würden, sondern unseren Mitmenschen mit allerlei Aufmerksamkeiten, mit liebevollen Kleinigkeiten, mit schönen «Surprises» immer wieder überraschen würden. Dort, wo sie nicht mehr mit unserem Verständnis rechnen würden, sie liebevoll annehmen; dort, wo sie schon eine ernste Miene von uns erwarten, ein Lächeln finden würden. Ja, wie erfinderisch sind wir in der Liebe? Wie verschwenderisch gehen wir mit der Liebe um? Das ist die Kernbotschaft des heutigen Abends.  Amen