Liebe Schwestern und Brüder,
Diese Anrede fasst das am besten zusammen, was die Botschaft der Geschichte der «kleinen Schraube» und des heutigen Evangeliums ist. Wir alle sind Christinnen und Christen, im Grunde genommen sind alle Menschen, Geschwister, Schwestern und Brüder. Warum? Weil Gott der Vater aller Menschen ist. Gott ist ein Vater, der eine unendliche Liebe zu allen Menschen hat. Wir alle bilden eine Familie, in der sich alle gerne haben und lieben sollten, ohne Diskriminierungen, Grenzen, Barrieren, Gitter, Mauern, Bevorzugungen und Benachteiligungen. Die Kleinste und der Kleinste sind wertvoll für die Mitmenschen. Jede und jeder hat die Unterstützung der anderen nötig. Nur zusammen kommen wir zum Ziel des Lebens. Welches Ziel? Glücklichsein auf Erden und am Schluss des Lebens das unendliche und nie endende Glück des Himmels, die Gemeinschaft mit Gott, für immer geniessen zu können.
Dieses Glück sollte aber schon hier auf Erden beginnen. Deswegen ist Gott in Jesus Christus einer von uns geworden. Jesus, der Sohn Gottes, ist Mensch geworden und hat das Unsrige geteilt und übernommen: Glück und Leid, Freude und Schmerz, Erfolg und Niederlage. Er will immer bei uns bleiben, mit uns verbunden sein, so, wie die kleine Schraube sich entschieden hat, weil Gott weiss, dass wir ihn brauchen.
Vorher haben wir im Evangelium gehört: «Viele Freunde gingen mit Jesus mit. Einige Freunde wollten immer bei Jesus bleiben.» Er will noch mehr als wir es wollen, mit uns sein. Er ist in der kleinen Hostie für uns gegenwärtig, um bei uns zu sein. Er ist noch kleiner, leiser und unsichtbarer in unserem Herz zugegen – überall im Hier und Heute. Und wir? Wollen wir nur manchmal mit ihm zusammen sein? Wenn wir Gottesdienst feiern, wenn wir beten, wenn wir eine Kerze anzünden? Spielt er im Alltag sonst keine grosse Rolle in unserem Leben? Es wäre schön, wenn wir immer bei und mit ihm sein wollten. Wenn wir essen und schlafen, wenn wir alleine oder zusammen unterwegs sind, wenn wir zuhause oder draussen in der Natur sind, wenn wir weinen oder lachen, wäre es wünschenswert, dass wir immer mit ihm online und verbunden sind. Einfach, weil er uns liebt und wir ihn lieben möchten.
Dass wir mit ihm verbunden sein wollen und ihm nachfolgen, darf aber nicht bloss eine Theorie, ein Lippenbekenntnis, Bla-bla sein, sondern es geht um Taten und Werke. Wie alle Schrauben und Nägel, Rippen und Platten des Schiffes sich entschlossen haben, füreinander da zu sein, so sollten auch wir niemanden ausschliessen, kritisieren oder verurteilen. Es geht darum, für alle und unter allen Umständen Gutes zu tun und Böses zu meiden. Jesus ist immer bereit, uns dabei zu helfen. Amen.
Bielersee, 28.September 2024
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur