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Bistum Chur

Predigt von Bischof Joseph Maria beim Requiem für Benedikt XVI.

Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

In den letzten Tagen wurde wahnsinnig viel über den verstorbenen, emeritierten Papst Benedikt XVI. gesagt, geschrieben, zitiert, spekuliert: von «santo subito» bis zu scharfer Kritik. Auch deswegen habe ich nicht vor, hier über ihn etwas zu sagen. Es wurde schon mehr als genug gesagt und geschrieben.

Wir sind hier, wie jedes Mal, wenn jemand hinscheidet, um für den Verstorbenen in christlicher Glaubensüberzeugung zu beten. Man könnte die Frage stellen: Hat er unser Gebet noch nötig? Das wissen wir nicht. Die Kirche besteht aus der Gemeinschaft der Heiligen und der Gläubigen zusammen mit dem Haupt, Christus unserem Erlöser. Wir halten zusammen. Wir unterstützen uns gegenseitig. Wir sind Familie im tiefsten Sinn, wie Gott in geheimnisvoller und gleichzeitig vollkommener Weise Familie ist. Wenn Papst Benedikt XVI. unser Fürbittgebet nicht mehr nötig hat, wird er diese Gebete zu uns zurücklenken, für unser Heil. Wir sind Kirche, Synodalität, Gemeinschaft, Geschwisterlichkeit, Familie. Diese Realität unserer Kirche hat Papst Benedikt XVI. bereits in seiner ersten Homilie unterstrichen. Damals, bei seiner Amtseinführung, sagte er unter anderem:

«Wer glaubt, ist nie allein – im Leben nicht und auch im Sterben nicht. (…) Und nun, in dieser Stunde, muss ich schwacher Diener Gottes diesen unerhörten Auftrag übernehmen, der doch alles menschliche Vermögen überschreitet. Wie sollte ich das? Wie kann ich das? Aber Ihr alle, liebe Freunde, habt nun die ganze Schar der Heiligen stellvertretend durch einige der grossen Namen der Geschichte Gottes mit den Menschen herbeigerufen, und so darf auch ich wissen: Ich bin nicht allein. Ich brauche nicht allein zu tragen, was ich wahrhaftig allein nicht tragen könnte. Die Schar der Heiligen Gottes schützt und stützt und trägt mich. Und Euer Gebet, liebe Freunde, Eure Nachsicht, Eure Liebe, Euer Glaube und Euer Hoffen begleitet mich. Denn zur Gemeinschaft der Heiligen gehören nicht nur die grossen Gestalten, die uns vorangegangen sind und deren Namen wir kennen. Die Gemeinschaft der Heiligen sind wir alle, die wir auf den Namen von Vater, Sohn und Heiligen Geist getauft sind und die wir von der Gabe des Fleisches und Blutes Christi leben, durch die er uns verwandeln und sich gleich gestalten will. Ja, die Kirche lebt – das ist die wunderbare Erfahrung dieser Tage. Durch alle Traurigkeit von Krankheit und Tod des Papstes hindurch ist uns dies auf wunderbare Weise sichtbar geworden: Die Kirche lebt. Und die Kirche ist jung. Sie trägt die Zukunft der Welt in sich und zeigt daher auch jedem einzelnen den Weg in die Zukunft. Die Kirche lebt – wir sehen es, und wir spüren die Freude, die der Auferstandene den Seinen verheissen hat. Die Kirche lebt – sie lebt, weil Christus lebt, weil er wirklich auferstanden ist».

 

 

Es ist unser Wunsch, deswegen feiern wir heute diese Eucharistie, dem heimgegangenen, emeritierten Papst mit unserem Gebet, mit unserer Nachsicht, mit unserer Liebe und unserer Hoffnung und mit unserem Glauben zu begleiten und zu unterstützen. Und er ist bestimmt mehr denn je bereit, mit seiner Gottverbundenheit uns zu begleiten und zu unterstützen. Schliesslich ist dies möglich, weil der auferstandene Erlöser uns alle trägt und liebt, begleitet und erlöst.

Die innige Glaubensverbundenheit mit dem lebendigen Christus als wahrer Gott und Mensch, der auch heute die Welt trägt und erlöst, war die solide Konstante im Leben von Josef Ratzinger. Er predigte weiter am 24. April 2005 auf dem Petersplatz:

«Das eigentliche Regierungsprogramm aber ist, nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Wille des Herrn zu lauschen und mich von ihm führen zu lassen, damit er selbst die Kirche führe in dieser Stunde unserer Geschichte».

Benedikt XVI. hilft uns – und mit dem theologischen Werk, das er uns unterlässt, wird er uns weiterhelfen – das Geheimnis Christi als Zentrum unseres Glaubens immer zu behalten und zu vertiefen. Jesus war nicht bloss der Jesus von Nazareth, sondern der wahre, historische, menschgewordene Sohn Gottes: wahrer Gott und wahrer Mensch. Er ist wahrhaft, für uns Menschen und zu unserem Heil gestorben, und er ist wahrhaft, reell auferstanden. Nur aus diesem Grund ist die Kirche für immer Quelle des Heils für die Menschen und für die Welt. Die Kirche ist keine lediglich altruistische, wohltätige Gemeinschaft, sondern Weg des Menschen in den Himmel. Möge der hingeschiedene, emeritierte Papst uns helfen, auch in unserem Bistum diesen katholischen Glauben lebendig und wirksam aufrechtzuerhalten.

Zwei Elemente aus der ersten Papstpredigt von Benedikt XVI. möchte ich noch heute in Erinnerung rufen. Er verkündete damals:

« Es gibt vielerlei Arten von Wüsten. Es gibt die Wüste der Armut, die Wüste des Hungers und des Durstes. Es gibt die Wüste der Verlassenheit, der Einsamkeit, der zerstörten Liebe. Es gibt die Wüste des Gottesdunkels, der Entleerung der Seelen, die nicht mehr um die Würde und um den Weg des Menschen wissen. Die äusseren Wüsten wachsen in der Welt, weil die inneren Wüsten so gross geworden sind. Deshalb dienen die Schätze der Erde nicht mehr dem Aufbau von Gottes Garten, in dem alle leben können, sondern dem Ausbau von Mächten der Zerstörung. Die Kirche als Ganze und die Hirten in ihr müssen wie Christus sich auf den Weg machen, um die Menschen aus der Wüste herauszuführen zu den Orten des Lebens – zur Freundschaft mit dem Sohn Gottes, der uns Leben schenkt, Leben in Fülle. (…) Nicht die Gewalt erlöst, sondern die Liebe. Sie ist das Zeichen Gottes, der selbst die Liebe ist. Wie oft wünschten wir, dass Gott sich stärker zeigen würde. Dass er dreinschlagen würde, das Böse ausrotten und die bessere Welt schaffen. Alle Ideologien der Gewalt rechtfertigen sich mit diesen Motiven: Es müsse auf solche Weise zerstört werden, was dem Fortschritt und der Befreiung der Menschheit entgegenstehe. Wir leiden unter der Geduld Gottes. Und doch brauchen wir sie alle. Der Gott, der Lamm wurde, sagt es uns: Die Welt wird durch den Gekreuzigten und nicht durch die Kreuziger erlöst. Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet».

In Herrn Geliebte, nehmen wir uns heute von Neuem vor, Evangelisierende des Friedens und der Geschwisterlichkeit zu sein. Und vergessen wir nie, dass die Gemeinschaft der Christen, um diese wirklich zu sein, offen für alle Menschen sein muss. Die Evangelisierung, der Auftrag des Herrn bis zum Ende der Welt das Evangelium zu verkünden, soll unser Leben als Christen ausmachen. Dazu ermutigt uns der verstorbene, emeritierte Papst nochmals mit den Worten seiner ersten Homilie als Papst:

«Auch heute ist es der Kirche und den Nachfolgern der Apostel aufgetragen, ins hohe Meer der Geschichte hinauszufahren und die Netze auszuwerfen, um Menschen für das Evangelium – für Gott, für Christus, für das wahre Leben – zu gewinnen. (…) Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist. Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken».

Liebe Schwestern und Brüder, beten wir nun für den Heimgegangenen Benedikt XVI. und versuchen wir sein Glaubens-Erbe zu beherzigen. Amen.

Bischof Joseph Maria Bonnemain
Kathedrale Chur, 5. Januar 2023