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Bistum Chur

„Sing, wenn du nicht beten kannst“, Musik als vertontes Gebet

Eben ist die Kolumne Bischofs Joseph Marias im Magazin „accordà“ der Kammerphilharmonie Graubünden erschienen. Eine theologische Replik auf die Musik, die Gesellschaft, ihre Zeit. Vielleicht gewagt, vielleicht genau richtig im Zeitgeist? Auf jeden Fall sollte sie anregen, mitnehmen und mehr geben. Mehr als nur ein paar Zeilen. Etwas Seelenbalsam für daheim, unterwegs oder zum Teilen?

Erste Reaktionen auf die Kolumne:

  • Ich bin freudig überrascht und glücklich, Ihre Gastkolumne für die Kammerphilharmonie zu lesen. Endlich ein „Kirchenmann“, der die Sprache des Menschen versteht und sprechen kann. Wohltuend! Danke.
    Jaap Achterberg,
    Sprecher bei der SBS Schweizerische Bibliothek für blinde und sehbehinderte Menschen Zürich. Er liest dort Hörbücher ein.
    www.achterberg.ch
  • Es hat mich sehr gefreut, dass Sie als Bischof diese Gastkolumne schreiben. Ja, es wäre schön, wenn wir im Leben auch so einfühlsam miteinander umgehen könnten wie es in einem Orchester geschehen muss. Alle müssen aufeinander hören, alle müssen dasselbe Ziel habe, keiner darf seine Meinung durchsetzen. Alle müssen dem Werk, der Komposition unterordnen. Ansonsten entsteht nur Chaos. Besonders der letzte Abschnitt ist besonders treffend. Nur wenn wir Leben in diese toten Notenköpfe einhauchen entsteht Musik.
    Mario Schwarz,
    Ehrendirigent Collegium Musicum Ostschweiz und
    Ehrenmitglied der Paul Huber-Gesellschaft
    Anerkennungspreise der Kantone Graubünden und St. Gallen
    www.marioschwarz.ch
  • Gelungene Kolumne im Magazin der Kammerphilharmonie Graubünden. Mein Lieblingssatz: Der Mantel des Alltags hängt in der Garderobe. Solche Beiträge sind ganz im Sinne des Paradigmas „Vernetzung nach innen und aussen“. Engraziel!
    Flurina Caveng-Tomaschett,
    www.pfarrei-ilanz.ch/infos/seelsorge

 

Die Zeiten verunsichern einige, machen sogar Angst. Was gibt Halt, wenn die Erde sich bewegt, die Menschen nicht mehr miteinander reden, Kampf die einzige Parole ist? Ein Gebet.
Wie man betet? So wie man sich fühlt. Ganz egal. Gott nimmt jedes Gebet an, ob gesungen, abgelesen oder geweint. Er nimmt an, was wir in seine Hände legen. Und wer glaubt, nicht beten zu können? Was macht der? „Dann singe“, sagt Bischof Joseph Maria. „Singe, wenn du nicht beten kannst. Musik ist oft ein vertontes Gebet.“

 

Im Folgenden die besprochene Kolumne im Wortlaut:

From the east to the West Side – it’s all the same story

Eine Kolumne für die Kammerphilharmonie? Ich, der Bischof von Chur? Predigten habe ich bereits einige geschrieben, auch Grussworte und so ähnliches. Alles kein Problem. Aber was soll ich zu Musikliebhabern über Symphonien und Opern sagen?

Es sollte die Lesenden aus dem Sessel reissen. Es sollte die magische Stimmung beim Betreten des Konzertsaales rüberbringen. Dieses Knistern in der Luft müsste spürbar sein, eine Prise Magie, ein paar Paradiesvögel, dazu etwas Spotlight am richtigen Platz. So etwas stelle ich mir vor. So bezaubernd wie der Moment, wenn der Dirigent den Stab langsam senkt, die Musiker im Orchester tief einatmen, mit den Augen den filigranen Dirigentenstab fixieren und alle gebannt auf den Augenblick warten, bis der erste Tone den Saal flutet. Genuss pur.

Die Welt könnte untergehen. Nichts löst niemanden mehr aus dieser symphonischen Bindung. Für die Dauer des Konzertes sind alle Sorgen und Nöte vergessen. Der Mantel des Alltags hängt in der Garderobe. So etwas soll mein Schreiberling zu Papier bringen.

Etwas viel verlangt? Ein Text sei kein Orchester. So. Nur ein totes Blatt Papier mit einigen Buchstaben. Etwa wie ein Notenblatt, das ohne Musiker genauso leblos sei. Aha. Oder die Bibel. Weil das echte Leben eben nur unter Menschen funktioniere, durch Menschen, mit Menschen. So wie ein Orchester. Hat was.

Will heissen, jedes Zeichen, jede Ziffer, jede Note ohne den Menschen, der ihr Leben einhaucht nur etwas getrocknete Tinte auf einem Blatt Papier sei? Leblos, emotionslos. Kopfkino als Maximum der Gefühle.

Das Wesentliche und Ultimative im Leben sind wir Menschen. Die Beziehung, die wir zueinander eingehen, die Gefühle, die uns bewegen, die Liebe, die uns verbindet. Und daraus entstehen die grossartigsten Melodien, Symphonien, Operetten, sagt mein Schreiberling, auf der Bühne wie im Leben. Beziehungen also. Der Schlüssel. Beziehungen bestimmen unser Leben, unsere Träume, unsere Musik. Und zuletzt, besser zuerst, die Liebesbeziehung Gottes zu uns Menschen.  Die Prosa des Ich verwandelt sich durch Du und Wir in eine emotionsreiche und manchmal heroische, epische Symphonie.

Es sind die grossen Geschichten voller Emotionen, die uns bewegen und bewegten. Romeo und Julia oder die West Side Story. Solche Stücke, die uns zeigen: Alles liegt in unserer Hand. In unseren Gefühlen, ob wir hassen oder lieben. Egal ob es um die Herkunft, die Rasse  ̶  East oder West Side  ̶  die Religion oder das Geschlecht geht. Es liegt an uns, welchen Ton wir anschlagen. Wann und wie wir in die Pauken schlagen. Ob es forte, piano oder crescendo zu und her geht. Ob wir einander bekriegen oder lieben.

Warum nur können wir den Zauber, die Magie des Konzertsaales, dieses Bündel an Emotionen und Glücksgefühlen so selten in den Alltag retten? Weshalb ist das Musical West Side Story heute so aktuell wie damals, als es geschrieben wurde? Warum gibt es in der Welt immer mehr und mehr Kriege und Konflikte, obwohl jeder Mensch nur eines will, geliebt zu werden?

Hauchen wir diesem toten Stück Papier Leben ein. Lasst uns aufeinander zugehen, einander verzeihen, wo es nötig ist und die Welt verändern. Es liegt in unserer Macht. Nutzen wir sie, zu lieben.

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

www.issuu.com/kammerphilharmoniegraubuenden/docs/accord_nr._12_webversion

Die Advents- und Vorweihnachtszeit bietet sich regelrecht an, still zu werden, in sich hinein zu hören und ein leises Gebet zu sprechen, um Mut zu fassen und aufeinander zuzugehen.
Ein Gebet, das Bischof Joseph Maria am Herzen liegt, ist das „Bruder-Klaus-Gebet“. Es passt so gut in unsere Zeit, wie es in seine passte. Beten oder singen wir es gemeinsam:

Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir,
was mich hindert zu Dir.

Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,
was mich fördert zu Dir.

Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir
und gib mich ganz zu eigen Dir.

 

Bruder Klaus Gebet

 

 

Chur, 28. November 2024

Nicole Büchel
Kommunikationsverantwortliche Bistum Chur