Liebe Schwestern und Brüder
Zu Ostern verkünden wir im Glauben und in der Gewissheit: „Christus ist auferstanden!“; ähnlich sollten wir auch verkünden, wenn wir an Weihnachten die Geburt Jesu feiern: „Das Wort ist Fleisch geworden!“.
Die Fleischwerdung bezieht sich auf die Beziehung des dreifaltigen Gottes mit dem Menschen, eine Beziehung der Liebe: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16). Jene Liebe, die das Fundament der Heiligsten Dreifaltigkeit ist, wird in der Menschwerdung des Sohnes Gottes konkret. Durch die Menschwerdung des Wortes nimmt jene Liebe eine menschliche Gestalt an: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Der Wille Gottes ist die Liebe zum Menschen, der die Rettung durch Gott Immanuel, Gott mit uns, nötig hat.
Beim ersten Angelus seines Pontifikates sagte Papst Benedikt XVI: „Es ist … von der Vorsehung gewollt, dass – gleichsam wie ein Eingangstor zu Weihnachten – das Fest jener Frau gefeiert wird, die die Mutter Jesu ist und die uns besser als alle anderen dazu anleiten kann, den menschgewordenen Sohn Gottes zu kennen, zu lieben und anzubeten. Lassen wir uns also von ihr führen …, damit wir uns mit ehrlichem Herzen und offenem Geist darauf einstellen, im Kind von Betlehem den Sohn Gottes zu erkennen, der auf die Welt gekommen ist, um uns zu erlösen“ (Angelus vom 11. Dezember 2005).
Liebe Schwestern und Brüder, der Sohn Gottes hat keinen heiligen Ort gewählt, um in die Welt zu kommen. Er musste – aus der Not heraus – einen Stall akzeptieren, den einzigen Ort, den er fand. Er ist es, der mit seiner Gegenwart jenen Ort geheiligt hat. Tatsächlich wird auch heute noch in Bethlehem jene Krippe aufbewahrt, in welcher wir glauben, dass das Kind gelegen hat. Über und um jenen Stall herum wurde später die Geburtskirche errichtet.
Vielmehr müsste man sagen, dass der Herr mit seinem Kommen in die Welt die ganze Welt geheiligt hat und mit ihrem Schöpfer wieder vereint hat. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Sakralbauten ihre Bedeutung verlieren. Sie behalten ihre Bedeutung als Ort der Begegnung, an welchem sich die Familie der Kinder Gottes zum Gebet versammelt, zum Lobgesang an den Herrn, zum Brechen des Brotes der Eucharistie und zum gegenseitigen Austausch, in Freundschaft und Solidarität.
Aus der Kirche sollte man immer gestärkt hinausgehen, um die Welt zu verwandeln, um Freude zu verbreiten, um anderen die Tränen zu trocknen, um ein Wort des Trostes zu spenden, um das Brot mit den Brüdern und Schwestern zu brechen, in grösserer Einfachheit und Freude. So wird der Christ zum Zeichen und lebendigen Zeugen einer wahren und echten Begegnung mit dem in Bethlehem geborenen Herrn, der mitten unter uns gekommen ist und auferstanden ist.
Als der selige Charles de Foucauld, in der Weihnachtszeit 1897-1898, in der Gegenwart des Jesuskindes in Betrachtung versunken war, begriff er, dass es unabdingbar ist, für denjenigen, der gewisse Talente empfangen hat, diese auch fruchtbar werden lassen zu müssen: „Wir werden aufgefordert werden, Rechenschaft abzulegen über alles, was wir erhalten haben … Und da ich so viel erhalten habe, wird man von mir auch sehr viel verlangen! Wenn ich so viel mehr als die meisten anderen Menschen empfangen habe… die Bekehrung, die Berufung, die Einsiedelei, Nazareth, den täglichen Empfang der Kommunion und viele andere Gnaden, wird man von mir sehr viel verlangen…“. Die Seligsprechung von Charles de Foucauld bestätigt dies: Ganz vom Geist Gottes geleitet, folgte er ganz dem Weg des Evangeliums. Den Weg der Fleischwerdung in diese Welt hinein zu gehen, zusammen mit Jesus, Gott mit uns, kann uns sehr weit bringen auf dem Weg des Friedens und der Wertschätzung des Nächsten, dem wir auf unserem Lebensweg als Getaufte begegnen.
Liebe Schwestern und Brüder, zum Schluss möchte ich noch ein konkretes Beispiel erwähnen: Eines Tages beschlossen ein paar Kinder, die gesehen hatten, dass die Menschen an Weihnachten zwar feierten, aber oft Jesus vergassen, kleine Jesuskinder aus Gips zu formen, um diese auf den Strassen den Menschen zu schenken. In Japan, wo Papst Franziskus vor kurzem hinreiste, hielt eine Frau am Stand dieser Kinder an und nahm eine kleine Jesuskind-Figur mit. Auf dem Heimweg stellte sie sie auf den Tisch im Wohnzimmer: „Vielleicht hilft uns Jesus“, dachte sie, „und er bringt etwas Frieden zwischen meinem Mann und mir! Gerade an diesem Tag kam ihr Mann müde und noch nervöser als sonst nach Hause, und sie stritten sich wieder. Der Ehemann ging aus dem Haus und schlug die Tür hinter sich zu; die Frau nahm mit Tränen in den Augen die kleine Jesuskind-Figur in ihre Hände… „Warum hilfst du mir nicht?“, hätte sie beinahe geschrien. Aber dann dachte sie: „Das Jesuskind wollte genau hierherkommen, in mein Haus, wo es keinen Frieden gibt!“ Und sie spürte auf einmal den Mut, noch einmal neu anzufangen. Sie bat das Jesuskind, ihr Kraft zu schenken, und als ihr Mann nach Hause kam, ging sie ihm entgegen und begrüsste ihn liebevoll… sogleich spürte sie ein Gefühl des Friedens in ihr, und allmählich konnte sie ihren Mann mehr und mehr lieben… und auch er wurde gelassener. An Heiligabend kehrte die Frau zum Stand zurück und sagte: „Gebt mir noch zwei Jesuskind-Figuren mit: Ich habe etwas Wichtiges für meine Töchter gesucht, das sie immer bei sich tragen sollen, als Andenken an mich und als meinen Segenswunsch an sie, wenn sie einmal heiraten werden – jetzt habe ich es gefunden!“.
Und was ist mit uns? Haben wir es in dieser Weihnacht gefunden? Wenn wir jeden Tag in unseren alltäglichen Handlungen in der Gegenwart Jesu leben, wird es jeden Tag Weihnachten sein und die Fleischwerdung des Immanuels, Gott mit uns, wird sich verwirklichen.
In diesem Geiste, wünsche ich Ihnen allen fröhliche und segensreiche Weihnachten! Amen