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Eröffnung des Heiligen Jahres durch Bischof Joseph Maria Bonnemain in Chur

Lieber Abt Vigeli
Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder
Heute, am Fest der Heiligen Familie, wird das Heilige Jahr 2025 in allen Kathedralen der Welt eröffnet. Das Heilige Jahr steht unter dem Motto: Pilger der Hoffnung. Wie sehr war Maria ihr Leben lang Pilgerin der Hoffnung, wie sehr war der hl. Josef ein Pilger der Hoffnung, während seines ganzen Lebens.
Das Leben von Maria und Josef war alles andere als einfach, als linear, keine Märchengeschichte. Sie erlebten grosse Engpässe, sie lebten vermutlich in sehr bescheidenen Verhältnissen, sie erfuhren, was es heisst, in die Fremde gehen zu müssen und fremd zu sein; ihr Kind wurde bedroht, und sie mussten fliehen; bei der Geburt ihres Sohnes gab es keinen Platz für sie in der Herberge und wie wir vorher gehört haben, konnten Maria und Josef nicht immer das Benehmen, die Absichten ihres Sohnes verstehen, ja, sie waren mit sehr anspruchsvollen Situationen konfrontiert. Auf der anderen Seite hören wir, dass Maria dennoch alle Worte ihres göttlichen Sohnes in ihrem Herzen bewahrte. Dort, in diesem Herzen, wuchsen weiterhin die Hoffnung, das Vertrauen, die Hingabe und die restlose Verfügbarkeit. Im Herzen des heiligen Josef fand bestimmt dieselbe Entwicklung der Hoffnung statt.
Im Herrn Geliebte, die Gnade und die Aufgabe dieses Jubiläumsjahres sollten für uns alle dieselben sein. Wir können, wir müssen fortwährend Pilger der Hoffnung sein. Die Hoffnung überall hin in unsere Welt tragen, in jeden Winkel, dorthin wo nicht mal mehr die Sonne scheint., Wir wachsen dadurch selber in der Hoffnung. Dieses Wachstum geschieht auch bei uns im realen Leben, ohne Wunder, mit Schatten und Licht, mit Scheitern und Erfolgen, mit Schmerzen und mit Glück, mit Unverständnis und Rätselhaftem, mit Anerkennung und Missverständnis, mit Kampf und mit Frieden. Und immer erfüllt von Liebe für alles, was wir tun.
Es geht um die Hoffnung auf sich selbst. Wir dürfen die Hoffnung auf uns selbst nicht aufgeben. Gott schenkt uns Licht und Gnade, die Zuversicht, das Selbstvertrauen nicht zu verlieren. Es geht um die Überzeugung, dass Gott uns so liebt, wie wir sind, ohne von etwas anderem zu träumen. Wir dürfen die Hoffnung auf uns nicht aufgeben, sondern die Hoffnung sollte vielmehr in uns wachsen, die Hoffnung, dass - gestützt auf diese Liebe Gottes zu uns - wir uns weiterentwickeln, unsere Schwächen beheben können. Ja, die Hoffnung, dass es für Gott nie zu spät ist und deswegen unser Leben gelingen kann und gelingen wird.
Es geht um die Hoffnung auf die anderen. In jeder anderen und jedem anderen ist ein verborgener Schatz vorhanden. Wenn wir diesen Schatz nicht entdecken, ist das nicht ihr Problem, sondern das Problem unserer Kurzsichtigkeit in der Nächstenliebe. Wenn wir einen Menschen betrachten, sollten wir mit den Worten des Herrn sagen: «Die Ernte die gross.» «Die Zeit für die Ernte ist da.» Wir sind dazu berufen und gesandt, die Mitmenschen mit den Augen des Herrn zu betrachten. Er schaute kleine Kinder an und sagte: «Das Himmelreich gehört solchen Kindern». Wenn wir einen Menschen anschauen, sollten wir die ganze Person erfassen, wir sollten uns nicht auf bestimmte Schwächen oder Mängel fixieren, auf die vorhandenen Runzeln, auf defekte Stellen seines Charakters, sondern vielmehr auf das Wertvolle, das vorhanden ist, das wachsen, gedeihen und Frucht bringen kann, gerade, weil wir in sein Leben gekommen sind, weil es Plan Gottes war, uns zusammen zu bringen. Die Ernte in jedem Menschen kann gross sein, dies vor allem, wenn wir an seiner Seite stehen und das Kostbare entdecken und fördern.
Es geht um Hoffnung für die Welt. Unsere Welt ist aus den Händen Gottes entstanden und wird in den Händen Gottes getragen. Wir dürfen trotz all dem, was in der Welt hässlich ist und schief geht, auch zuversichtlich bleiben. Wenn wir als Botschafterinnen und Botschafter des Friedens, des Verständnisses und der Eintracht wirken, dürfen wir die Gewissheit bzw. die Hoffnung haben, dass diese Saat aufgehen wird. Es geht um die winzigen Samenkörner – unscheinbar in ihrer Gestalt, die zu prächtigen, wunderschönen, kräftigen Bäumen heranwachsen, in denen die Menschen Geborgenheit und Schutz finden können. Dazu gehört auch die Hoffnung, die unser Bistum trägt. Wenn wir synodal und geschwisterlich im Glauben wirken, werden wir ein Aufblühen des kirchlichen Lebens in der Diözese erleben.
Schliesslich geht es um die Hoffnung auf Gott. Er kommt uns gelegentlich rätselhaft vor. Seine Vorgehensweise können wir längst nicht immer verstehen, so wie Maria und Josef das Verhalten Jesu auch nicht verstehen konnten. Sie haben bei sich zu Hause von Jesus keine Wunder erlebt und keine Wunder von ihm verlangt, sie haben viel mehr für ihn Sorge getragen, sein Wachstum begleitet und Tag für Tag ein unauffälliges Leben geführt. Dies, obwohl ihnen von Anfang an offenbart wurde, dass er Sohn Gottes war: total rätselhaft. Was für ein eigenartiger Gott. Ja, wir müssen mit Gott viel Geduld haben, die Hoffnung haben, dass er schliesslich dennoch der Immanuel, der Gott mit uns und für uns ist, auch wenn wir ihn oftmals nicht verstehen.
Ein weiser orthodoxer Diakon hat einmal geschrieben: Geduld mit Gott zu haben, ist Glaube, Geduld mit den anderen zu haben, ist Liebe und Geduld mit sich selbst zu haben, ist Hoffnung. Man kann es nicht besser ausdrücken – meine ich.
Liebe Schwestern und Brüder, es beginnt ein Jahr der Hoffnung, es beginnt ein Jahr, in dem wir alle als Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung ausgesandt werden. Nehmen wir uns vor, in diesem Jahr Tag für Tag die Geduld mit uns selbst nicht zu verlieren, die Geduld mit den anderen aufrecht zu erhalten, wenn möglich dabei noch zu wachsen, und auch die Geduld mit Gott nicht zu verlieren, er meint es letztlich nur gut mit uns. Amen
Chur, 29. Dezember 2024
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur