Dienstag, 7. Oktober 2025
Programm
07:30 Treffpunkt für die Prozession durch die Heilige Pforte im Petersdom
08:15 Messfeier im Petersdom mit Kardinal Kurt Koch und Bischof Joseph Maria, anschliessend individuelle Besichtigung des Petersdoms
10:30 Besuch der Vatikanischen Gärten und der Vatikanischen Museen
16:30 Besuch bei der Schweizergarde mit Führung durch die Kaserne, Andacht in der Gardekapelle und Apéro riche im Ehrenhof
Homilie von Kardinal Kurt Koch in der Eucharistiefeier am Grab des heiligen Petrus in der Basilika
PILGERSCHAFT ZWISCHEN DEN VERFOLGUNGEN DER WELT
UND DEN TRÖSTUNGEN GOTTES
„Der Mensch hat auf Erden keine Heimstatt, aber Flügel zum Himmel.“ In diesem Sprichwort aus Russland ist der innerste Kern des irdischen Lebens als Christen verdichtet. Denn um erkennen zu können, wer wir Menschen auf Erden sind, müssen wir Gott im Himmel kennen lernen und vor seinem Angesicht leben. Und das irdische Leben erhält seinen tiefsten Sinn im Blick auf das ewige Leben bei Gott, das das eigentliche und wahre Leben ist. Darin besteht die Grundüberzeugung des christlichen Glaubens, der unser irdisches Leben dadurch orientiert, dass er unseren Blick weitet auf die Zukunft unserer endgültigen Vollendung bei Gott.
Christliches Leben als Pilgerreise
Aufgrund dieser Glaubensüberzeugung verstehen sich die biblischen Menschen als „Fremdlinge“ und „Pilger“ in der Welt (1 Petr 2, 11). Sie kennen deshalb in dieser Welt „keine Stadt, die bestehen bleibt“, sondern sie „suchen die künftige“ (Hebr 13, 14)); und diese künftige Stadt heisst Jerusalem. Denn dank ihrer Erlösung in Christus haben sie bereits auf dieser Erde ihre wahre Heimat „im Himmel“, von woher sie Christus als „Herrn und Retter“ erwarten (Phil 3, 20). Die biblischen Menschen bekennen deshalb, „dass sie „Fremde und Gäste auf Erden sind“ (Hebr 11, 13), die unterwegs sind auf der irdischen Pilgerschaft zur kommenden Heimat.
Diese biblische Glaubensüberzeugung zieht sich auch durch die christliche Geschichte hindurch. Christen haben sich stets als Pilger verstanden. Sie haben diese Sicht von den gläubigen Juden übernommen, die in jedem Jahr an den grossen Tempelfesten nach Jerusalem gepilgert sind. In dieser Glaubenshaltung ist auch der Zwölfjährige Jesus mit seinen Eltern Maria und Josef nach Jerusalem gepilgert. Diese Tradition haben auch die Apostel fortgesetzt, wie in der Apostelgeschichte vom heiligen Paulus berichtet wird, dass er, um sein Gelübde zu erfüllen, von Korinth nach Jerusalem gepilgert ist. Sogar noch nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahre 70 sind Christen in das Heilige Land gepilgert. Im Lauf der Geschichte sind immer mehr Christen ins Heilige Land gekommen, wie beispielsweise der detaillierte Bericht der Pilgerin Egeria gegen Ende des Vierten Jahrhunderts belegt. Nicht zu vergessen sind schliesslich die Wandermönche, die ihre irdische Heimat verlassen und sich nach der ewigen Heimat gesehnt haben, um als „Fremdlinge und Gäste“ Christus auch in fremden Ländern zu suchen und zu bezeugen. Gerade diese Missionare und Mönche haben sich in den europäischen Gesellschaften als Zivilisatoren und Kultivatoren bewährt.
Diese kleine Symphonie des biblisch-christlichen Glaubensbewusstseins zeigt, dass das Pilgern zum christlichen Leben elementar gehört, gleichsam zu seiner geistlichen DNA. Wir bringen dies auch heute zum Ausdruck mit dem alten und zugleich ewig-jungen Brauch einer Wallfahrt, zumal im Heiligen Jahr, wie Sie sie in diesen Tagen mit christlichen Ernst und unter dem Leitwort der Hoffnung, also mit den „Flügeln zum Himmel“ vollziehen. Denn eine Wallfahrt ist nicht einfach ein Sonntagsspaziergang und schon gar nicht eine Fahrt ins Blaue. Eine Wallfahrt hat vielmehr ein konkretes Ziel vor Augen. Dieses Ziel ist zunächst das Heiligtum, zu dem wir unterwegs sind, um durch die Heilige Pforte zu gehen und beim Grab des heiligen Petrus zu beten und Gott zu loben.
Am Grab des heiligen Petrus wird uns auch wieder neu bewusst, dass wir als Bistum Ortskirche in der Universalkirche sind und mit ihr in lebendigem Austausch leben. Und die Erinnerung daran, dass die Heilige Pforte ein Geschenk aus der Schweiz, genauer des Bistums Basel an den Nachfolger des Petrus gewesen ist, legt uns an Herz, dass wir berufen sind, in der Einheit mit dem Bischof von Rom zu leben, wie es dem Leitwort von Papst Leo XIV. entspricht: „In illo uno unum“. Wir sind viele und wir sind verschieden, aber wir sind eins in Christus. In dieser glaubenden Ausrichtung unseres Lebens auf Christus hin wird der Besuch des Heiligtums in Rom auch zu einer Vorerfahrung jenes endgültigen Heiligtums, das wir im christlichen Glauben „Himmel“ nennen.
Pilgerschaft in den Verfolgungen der Welt
Eine Wallfahrt macht uns in neuer Weise bewusst, dass wir auf dieser Erde Pilger sind, uns auf der irdischen Wanderschaft aufhalten und darin unseren Glauben zu bewähren haben. Dies gilt zumal, wenn wir uns Rechenschaft darüber zu geben haben, dass wir Christen in der Zeit zwischen der Himmelfahrt Christi und seiner Wiederkunft auf unserer irdischen Pilgerschaft unterwegs sind. Für diese Zwischenzeit trifft in besonderer Weise die Einsicht des heiligen Augustinus zu, dass die Kirche „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg“ voranschreitet. Eine Wallfahrt, zumal im Heiligen Jahr, lädt uns ein, beide Wirklichkeiten wahrzunehmen und zu bedenken: sowohl die Verfolgungen der Welt als auch die Tröstungen Gottes.
Dass unsere irdische Pilgerschaft auch mit „Verfolgungen der Welt“ konfrontiert ist, dies führt uns ein Blick in die heutige Weltsituation mit ihren schrecklichen Kriegen und vielen anderen dramatischen Entwicklungen vor Augen. Denken wir hier am Grab des heiligen Petrus vor allem an die vielen Christen, die in der heutigen Welt wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Achtzig Prozent aller Menschen, die heute aus Glaubensgründen verfolgt werden, sind Christen. Heute finden sogar mehr Christenverfolgungen statt als in den frühen Jahrhunderten. Das Christentum ist heute die am meisten verfolgte Religion.
In unseren Breitengraden muss der Christ, der sich zu Jesus Christus bekennt, zwar gewiss nicht mit dem Martyrium rechnen. Das christliche Bekenntnis wird nicht verfolgt, aber es muss heute in einer Welt verkündet werden, die sich immer mehr vom Christentum entfremdet und mit einer Schwerhörigkeit gegenüber der christlichen Botschaft lebt, weil so vielen Menschen nichts fehlt, auch wenn ihnen Gott fehlt. Als Mitverantwortliche in der Leitung des Bistums Chur nehmen Sie auch schmerzlich wahr, wie viele Menschen in der jüngeren Vergangenheit die Kirche verlassen haben – auch wegen schrecklicher Skandale wie der Missbräuche, die zu einem grossen Vertrauensverlust geführt haben.
Damit wird der Ernstfall unsrer irdischen Pilgerschaft sichtbar, die der innere Sinn des äusseren Brauches einer Wallfahrt ist. Er besteht darin, dass uns auch heute die Erfahrung der frühen Kirche, dass wir als Volk Gottes „Fremdlinge“ in der Welt, nämlich „paroikia“ – „Pfarrei“ - sind, in der heutigen gesellschaftlichen Situation gesamtkulturell stets spürbarer zugemutet wird. Wir sind dabei herausgefordert, diese Situation anzunehmen, und zwar als konkrete Erfahrung der Kirche unter dem Kreuz Jesu. Wir müssen wieder neu lernen, unter dem Kreuz Jesu zu stehen und zu seinem Kreuz zu stehen.
Tröstungen Gottes auf der Pilgerschaft
Auf unserer irdischen Pilgerschaft spüren wir aber nicht nur die „Verfolgungen der Welt“, sondern dürfen auch, wie der heilige Augustinus sagt, immer wieder „die Tröstungen Gottes“ erfahren. Einen wichtigen Trost wird uns im heutigen Evangelium zugesprochen, in dem die beiden Frauen, Maria und Martha in der Gegenwart ihres Herrn leben und sich ihm mit ihrem Dienst und ihrem Zuhören zuwenden. Seine Gegenwart ist auch heute der grösste Trost, der uns geschenkt wird und den wir immer wieder erfahren dürfen, wenn wir Jesus begegnen in der Betrachtung seines Wortes und im Dienst am Nächsten.
Um die Gegenwart Gottes erfahren zu können, schenkt uns der Glaube die Hilfe des Gebetes. Denn das Gebet ist die Sprache der Hoffnung, es ist die christliche Interpretation und der gläubige Vollzug der Hoffnung. Dies gilt in besonderer Weise vom Rosenkranz, der ein zutiefst christologisches Gebet ist und uns in die Herzmitte unseres christlichen Glaubens hineinführt, so wie Maria kein anderes Ziel hat, als uns vor den Herrn zu bringen. Der heutige Gedenktag unserer Lieben Frau vom Rosenkranz legt uns diesen Trost des Glaubens ans Herz.
Besondere Tröstungen Gottes sind uns mit den Sakramenten der Heiligen Beichte und der Heiligen Messe geschenkt und anvertraut, besonders im Heiligen Jahr. Denn in der Beichte können wir den schweren Ballast der Sünde von unseren Herzen nehmen und dem Herrn übergeben, und erhalten den tröstenden und zugleich herausfordernden Zuspruch in der heutigen Lesung, dass Gott stets ein erbarmender Gott ist, der auf unsere Umkehr mit Vergebung antwortet – damals in Ninive wie auch heute in Chur und Rom. Und in der Heiligen Messe, dem „pharmakon athanasias“, dem „Heilmittel der Unsterblichkeit“, wird der Blick des Glaubens auf das Ziel unserer irdischen Pilgerschaft hingelenkt. Wer die Sakramente gerade in schwierigen und belastenden Situationen empfängt, wird sich dessen ansichtig, welche Tröstungen uns damit geschenkt werden.
In den Sakramenten dürfen wir erfahren, dass Jesus selbst das Fundament ist, auf dem unser Leben und unser Glauben aufruhen dürfen. Er ist das tragfähige Fundament, auf dem man als Christ leben und, wenn es an der Zeit sein wird, auch sterben kann. Diese tiefe Glaubenströstung wird uns besonders im Heiligen Jahr mit dem Bild der Heiligen Pforte zugesprochen. Denn sie steht für Christus, der selbst die Tür ist, wie er verheissen hat: „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden: er wird ein- und ausgehen und Weide finden“ (Joh 10, 9). Jesus Christus ist die Türe, durch die hindurch wir in den Innenraum des Glaubens und damit zu seinem und unserem Vater geführt werden.
Mit dem glaubensstarken Durchschreiten der Heiligen Pforte beginnt die Wallfahrt im Heiligen Jahr, die der Erneuerung und Vertiefung unseres Glaubens und der christlichen Hoffnung dient. Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Wallfahrt in glaubensfroher Haltung vollziehen und dabei die tiefe Wahrheit des russischen Sprichwortes erfahren: „Der Mensch hat auf Erden keine Heimstatt, aber Flügel zum Himmel“. In dieser Glaubensüberzeugung können wir wirklich „Pilger der Hoffnung“ werden.
Petersdom, 7. Oktober 2025
Kardinal Kurt Koch