Abschlussfeier der THChur - Festpredigt & Grusswort
Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder
Die drei Jungen, Schadrach, Meschach und Abed-Nego befanden sich in einer äusserst schwierigen Lage, in einer äusserst kritischen Situation. In dieser – menschlich gesehen – aussichtslosen Lage vertrauten sie Gott ganz. Sie waren überzeugt, dass Gott sie retten konnte; und selbst wenn dies nicht eintreten würde, waren sie nicht bereit, von Menschen gemachten Göttern zu dienen oder das goldene Standbild zu verehren. Es ist begreiflich, dass die Überschrift des heutigen Abschlussgottesdienstes lautet: «Gott rettet».
Die beiden Machttaten – Wunder – die wir aus dem Markus-Evangelium gehört haben, fanden auch für die Betroffenen, in einer höchstkritischen Situation statt. Die Frau, die während zwölf Jahre alles versucht und probiert hatte, um vom Blutfluss bzw. Blutverlust geheilt zu werden, kommt zu Jesus als «Ultima Ratio». Sie war überzeugt, dass wenn sie nur das Gewand des Herrn berühren würde, würde sie von ihrem Leiden geheilt. Der Synagogenvorsteher Jaïrus war beinahe verzweifelt. Er kam auch zu Jesus, weil seine Tochter im Sterben lag. Alle menschlichen Mittel und die rein menschliche Hoffnung waren ausgeschöpft. Dennoch geht er zu Jesus und bittet ihn: «Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie geheilt wird und am Leben bleibt!» Jaïrus war nicht der Ansicht – würde ich behaupten – dass die Hände Jesu seine Tochter heilen würden. So wenig wie die Frau daran glaubte, dass das Gewand des Herrn magische Kräfte besass. Beide glaubten aber, dass der Herr, das tun konnte, was kein Mensch und kein irdisches Mittel zustande bringen kann.
Als Jesus der Bitte des Synagogenvorstehers entsprechend mit diesem zu ihm nach Hause ging, kam plötzlich die kranke Frau. Jesus beschäftigte sich mit ihr und die Zeit verstrich. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie nervös, wie ungehalten Jaïrus in diesem Augenblick war. Es ging um Minuten, um das Leben seiner Tochter noch retten zu können. Und jetzt verhinderte dieser unvorhergesehene Zwischenfall, dass Jesus schnellstens und unverzüglich zu seiner Tochter gehen konnte. Schliesslich kommen die Leute aus dem Haus des Synagogenvorsteher mit der Meldung: «Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger?» Da hätte dieser Vater den letzten Rest Hoffnung aufgeben müssen. Aber er hatte gerade die Heilung der Frau erlebt. Dies erweis sich jetzt als ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung der Flamme der Hoffnung im Herzen dieses Mannes. Der Glaube der Frau hatte sie, wie Jesus erklärte, gesund gemacht: «Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet.» Und dieser Glaube der Frau war wieder Stütze für den Glauben des Synagogenvorstehers. Jesus sagte zu ihm, als alles daraufhin deutete, dass es einfach längst zu spät wäre, um noch Hoffnung zu haben: «Fürchte dich nicht! Glaube nur!»
Liebe Schwestern und Brüder, für Gott ist es nie zu spät. Mit ihm unterwegs ist es nie vorbei mit der Hoffnung. Es ist eine Frage des Glaubens. Wir sollten persönlich und als Gemeinschaft sehr intensiv, sehr bewusst, das Heilige Jahr und das Bistumsjahr als Pilger der Hoffnung, als Pilgerinnen und Pilger des Glaubens leben, erleben und gestalten. Gott rettet! Er allein. Für Glaubende ist es nie zu spät. Der Glaube und die Hoffnung führen uns bis zur unendlichen und ewigen Liebe.
Den Glauben improvisiert man aber nicht. Der Glaube kann man nicht wie eine Ware punktuell bestellen. Der Glaube, der uns beseelt und trägt, ist reine Gabe, aber auch Aufgabe. Er muss geschützt, verteidigt, gepflegt, ernährt und gefördert werden.
Ich komme nun zum Hauptanliegen dieser Predigt. Die drei jungen Verwalter des Königs Nebukadnezzar haben bestimmt nicht erst im Feueroffen, aufgrund der äusserst kritischen Lage, begonnen zu glauben, begonnen, sich Gott anzuvertrauen, begonnen, aus der Hoffnung und aus der Liebe zu Gott zu leben. Nur weil sie im Alltag Menschen des Glaubens waren, nur weil sie daran gewohnt waren, die unspektakulären, gewöhnlichen Vorkommnisse und Belange des täglichen Lebens im Glauben und aus dem Glauben zu deuten, haben sie Zuflucht bei Gott gesucht, als sie sich in Todesnot befanden.
Die Frau mit dem Blutfluss kam zu Jesus, weil sie eine Erfahrene der Hoffnung und des Glaubens war. Abgesehen vom Einsatz medizinischer Mittel hatte sie während den zwölf Jahren ihrer Krankheit nie - trotz Fortbestehen ihres Leidens - aufgehört, zu Gott zu flehen, an ihn zu Glauben, auf ihn zu hoffen, ihn zu lieben. Ihr Gang, um Jesus zu berühren, war kein improvisierter Glauben, der null Komma plötzlich da entstand, sondern Folge eines im Kleinen dauernd gelebten und erprobten Glaubens.
Im Herrn Geliebte, der Synagogenvorsteher gelangte bestimmt zu Jesus in seiner Not, weil er vorher bereits ein Mann des Gebetes war. Er kam zu Jesus, weil er im Alltag die Nähe Gottes stets suchte, weil er auch in gesunden Tagen seines Lebens und des Lebens seiner Tochter den Umgang mit Gott pflegte. Er war ein Vertrauter Gottes und deswegen vertraute er auch in der extremen Not Gott ganz, vertraute sich ihm ganz an. Wir kennen alle das Sprichwort: „Not lehrt beten.“ Oder das andere: „Je grösser die Not, desto näher ist Gott.“ Seinerseits stimmt, dass Gott uns besonders nahe sein will, wenn wir in der Not sind. Aber wir sollten unsererseits nicht nur in der Not seine Nähe suchen und pflegen.
Liebe Schwestern und Brüder, seien wir Menschen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in der Gewissheit, dass Gott uns immer rettet: nicht nur in kritischen Situationen. Wir werden dann in der Überzeugung wachsen, dass es für IHN nie zu spät ist. Amen.
Chur, 20. Juni 2025
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur
Grussworte des Bischofs an die Festgemeinde
Geschätzte Frau Rektorin, liebe Eva-Maria
Geschätzte Frau Dr. Leisinger
Liebe Professorinnen und Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragte unserer Theologischen Hochschule Chur
Liebe Mitarbeitende im Hochschulbetrieb, Mittragende und Freunde der TH Chur
Liebe Absolventinnen und Absolventen, Studentinnen und Studenten
Lieber Regens und liebe Mitarbeitende des Priesterseminars St. Luzi
Geschätzte Gäste, liebe Anwesende
Die Abschlussfeier des akademischen Jahres ist für mich immer eine besonders passende Gelegenheit, um Ihnen/euch herzlich zu danken. Was in diesem Haus geschieht, kommt nur dank des Einsatzes, der Grosszügigkeit und Grossherzigkeit vieler von Ihnen zustande. Die Bereitschaft aller zum Mittragen hat den erfolgreichen Abschluss eines weiteren Studienjahres ermöglicht. Nochmals herzlichen Dank!
Ich bin sehr froh und dankbar, dass unsere Theologische Hochschule in vielen Bereichen die seelsorglichen und pastoralen Anliegen des Bistums und der Kirche mitgestaltet. Während den letzten drei Jahren hat sich die Kirche mit dem Sinn und der Notwendigkeit der Synodalität auseinandergesetzt, was nach der Veröffentlichung des Schlussdokumentes der Weltsynode weiter vertieft und entwickelt wird. Hier hat die Hochschule auch mitgewirkt und ich bin sicher, dass sie sich weiterhin mit diesem weltkirchlichen Anliegen beschäftigen wird.
Das Pastoralinstitut beteiligt sich bereits am laufenden diözesanen Prozess der Pastoral- und Personalentwicklung. Diesbezüglich erhoffe ich mir eine grosse Unterstützung und zielführende bzw. kreative Ansätze seitens der TH Chur.
Neuerdings läuft das Projekt für die Umwandlung des Kurses für Seelsorgende, welche die Beauftragung für eine Pfarrei erhalten werden, in ein CAS. Daran ist unsere Hochschule auch beteiligt.
Wie man sieht, besteht und wächst eine grosse Synergie zwischen dem Wirken der Theologischen Hochschule Chur und der seelsorglichen Wirklichkeit im ganzen Bistum. Dies geschieht nicht durch individualistisch Denkende, sondern durch gekonnte Zusammenarbeit, geeignete Synergien, Kooperationsbereitschaft und Sinn für Gemeinschaft aller Beteiligten: Ja, es geht um praktische Synodalität.
Ich glaube, mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, dass es um eine Synodalität geht, die erfinderisch, dynamisch, agil und zukunftsgewandt bleibt. In diesem Zusammenhang möchte ich sehr gerne die Ausführungen von Papst Franziskus zitieren, die wahrscheinlich die letzten waren, die er über theologisches Denken und Forschen vorgetragen hat. Am 9. Dezember 2024 sagte er den Teilnehmenden der Internationalen Konferenz zur Theologie unter anderem: «Der Wunsch ist, dass die Theologie hilft, das Denken zu überdenken. Die Art, wie wir denken, prägt bekanntlich auch unsere Gefühle, unseren Willen und unsere Entscheidungen. Einem weiten Herzen entspricht ein weites Vorstellungs- und Denkvermögen, während ein verengtes, verschlossenes und mittelmässiges Denken kaum Kreativität und Mut hervorbringen kann. Ich erinnere mich an die Theologie-Lehrbücher, mit denen wir früher studiert haben. Alles verschlossen, alles „museal“, bibliotheksartig, aber sie regten nicht zum Denken an.»
Ich bin überzeugt, dass Papst Leo auch keine museale, verschlossene Theologie bevorzugt. Als grosser Augustinus-Denker wird er uns bestimmt anspornen, eine Theologie des Herzens, eine Theologie der Liebe zu pflegen.
Erlauben Sie mir noch einen weiteren Abschnitt aus der Ansprache von Papst Franziskus vorzutragen: «Das erste, was man tun muss, um das Denken zu überdenken, ist die Vereinfachung zu überwinden. Die Wirklichkeit ist in der Tat komplex, die Herausforderungen sind vielfältig, die Geschichte ist von Schönheit bewohnt und gleichzeitig vom Bösen verwundet, und wenn man nicht in der Lage oder nicht willens ist, mit dem Drama dieser Komplexität fertig zu werden, dann neigt man leicht zur Vereinfachung. Aber die Vereinfachung will die Wirklichkeit verstümmeln, sie gebiert sterile, einseitige Gedanken, sie erzeugt Polarisierungen und Fragmentierungen. Und das tun zum Beispiel Ideologien. Die Ideologie ist eine Vereinfachung, die tötet: Sie tötet die Realität, sie tötet das Denken, sie tötet die Gemeinschaft. Ideologien verflachen alles zu einer einzigen Idee, die sie dann obsessiv und instrumentell, oberflächlich, wie Papageien wiederholen.»
Ich möchte dem nichts Weiteres hinzufügen, sondern uns allen dieses weitsichtige Denken wünschen, das unsere Theologische Hochschule weiterhin zum Gedeihen führen wird und weiterhin befähigt, die Pastoral unserer Diözese zu beflügeln. Ganz herzlichen Dank dafür.
Es bleibt mir noch, allen zu gratulieren, die ihre Studien erfolgreich zum Abschluss gebracht haben und allen, schöne und erholsame Ferien zu wünschen, eine Ferienzeit, die zugleich das Denken beflügelt und uns alle von einer Welt, in der Frieden herrscht, träumen lässt.
Chur, 20. Juni 2025
Nicole Büchel
Kommunikationsverantwortliche Bistum Chur
Fotos: THChur/René Schaberger