Allerseelen - unser Platz im Haus des himmlischen Vaters

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Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

Jesus spricht vom Haus seines himmlischen Vaters und dass er dorthin geht, um dort einen Platz für uns vorzubereiten. Und er fügte hinzu: Sobald dieser Platz bereit ist, holt er uns, damit wir dort sind, wo er ist. Hier stellt sich die Frage: Ist er, der Sohn Gottes, nicht seit Ewigkeit bei seinem himmlischen Vater zuhause gewesen? Denken wir etwas nach: Gott ist die Liebe. Die Liebe kann nie einsam sein, wenn die Liebe Liebe ist. Liebe ist Beziehung. Gott ist eine unendliche Liebesbeziehung. Gott Vater ist ganz Vater, das heisst: er ist eine unendliche Beziehung zu seinem Sohn, der Sohn ist ganz Sohn, eine unendliche Beziehung zum Vater und diese gegenseitige Beziehung ist so vollkommen und reell, dass sie eine eigene göttliche Wirklichkeit darstellt, die wir Heiliger Geist nennen. Diese Beziehungen sind der Himmel und in eine endgültige Beziehung zu diesen Beziehungen hinein zu tauchen, ist der Himmel für uns Menschen. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden. Nach seiner Himmelfahrt ist auch sein menschliches Sein im Hause des himmlischen Vaters. Wir sind in seiner Nachfolge dazu berufen, auch mit ihm im Hause des Vaters zu sein. Es ist sehr treffend, dass die ganze Tradition, wenn jemand stirbt, dies als Heimgang eines Menschen bezeichnet.  Wir haben vorher aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth gehört, dass wir nach dem Tod «eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes, ewiges Haus im Himmel» erhalten werden. Der Apostel spricht auch, dass wir daheim beim Herrn sein werden.

Ist es nicht so, dass die tiefste Sehnsucht unseres Herzens darin besteht, ein restloses «Zuhausesein» zu erleben? Wir fühlen uns in der eigenen Familie beheimatet. Irgendwann aber verändert sich die Zusammensetzung der Familie: einige ziehen aus, mit anderen haben wir vielleicht bestimmte Spannungen, es kommen Todesfälle vor, wir spüren, dass dieses Zuhause nicht so vollkommen und endlos ist, wie wir es uns wünschen. Aber auch bereits, wenn wir zum Beispiel uns an einem Ferienort wohl fühlen, Bekanntschaften knüpfen, mit dem Ort vertraut werden, ist es bald wieder an der Zeit abzureisen. Ähnliches geschieht in den Beziehungen und Verhältnissen in einem Verein, am Arbeitsplatz, unter Kollegen. Wenn wir in andere Länder gehen und beginnen die Sprache zu beherrschen, die Traditionen zu verstehen, die Menschen kennen und schätzen zu lernen, geschieht es nicht selten, dass wir erneut den Ort verlassen müssen und so geht es weiter und weiter. Immer bleibt das Zuhause, von dem wir träumen, begrenzt und vergänglich. Ich kann ehrlich sagen, dass mir Verabschiedungen und Trennungen immer schwerer fallen. Und wir sind doch immer daran, uns von etwas zu trennen oder uns von jemandem zu verabschieden. Es bleibt immer diese Suche nach einem endgültigen, absolut erfüllenden Ankommen. Es geht um dieses «endlich bin ich da, wovon ich immer geträumt habe». Kein geschaffener Ort, keine menschliche Beziehung, keine vergängliche Vertrautheit kann uns restlos erfüllen.

Liebe Schwestern und Brüder, der Himmel ist nicht ein Ort. Der Himmel ist dieses «ihr werdet dort sein, wo ich bin», von dem Jesus sprach. Mit diesem «wo ich bin» meint Jesus nicht einen Ort, wo er sich befindet, sondern einen Zustand, in dem er ganz ist, das «ich bin» 100-prozentig, unendlich, ohne Grenzen, das Sein schlechthin und das ist Gott. Jesus spricht tatsächlich von vielen Wohnungen, aber anschliessend von einem Platz für alle. Also: gibt es viele Plätze oder einen Platz? Natürlich gibt es im Hause des Vaters viele Wohnungen: das ganze Universum ist Ort Gottes, alles sind Orte, wo der schöpferische Gott anwesend ist. Dennoch: in ihm zu sein, mit ihm zu sein, ist er selbst, die Fülle des Seins, in dieser Vereinigung sind wir alle zusammen eins und gleichzeitig eine einzige Wirklichkeit durch den Sohn im Vater in der Liebe des Heiligen Geistes.

Solange es in uns selber etwas von uns gibt, können wir nicht restlos in Gott sein. Gott ist reine Hingabe, restlose Beziehung. So verstehen wir, dass im Buch der Weisheit die Rede ist von Züchtigung, vom geprüft und erprobt werden, bis wir als Ganzopfer angenommen werden können. Hier wäre es noch schöner von «als Ganzhingabe angenommen» zu werden, zu sprechen.

Im Herrn Geliebte, wir sind heute am Allerseelentag hier, um für unsere lieben Verstorbenen zu beten, als Unterstützung für ihre Läuterung und Reinigung. Es ist ein Gebet, damit sie ganz in der Liebesbeziehung mit Gott für immer eins werden können. Damit sie sagen können: Da bin ich, ich bin ganz zu Hause, ich bin für immer angekommen.

Wir sind aber auch hier, um uns tief zu freuen, dass unsere Verstorbenen das erreicht haben, was wir noch ersehnen. Jesus sprach auch, dass er uns nicht als Waisen zurücklassen würde, dass er bald wieder kommen wird, dass er lebt – wirklich lebt, restlos lebt – und so werden auch wir leben. Wenn wir berücksichtigen, dass unsere Heimgegangenen nun eins geworden sind mit diesem göttlichen Sohn im Himmel, dürfen wir die Gewissheit haben, dass sie uns sagen: Wir haben euch nicht als Waisen zurückgelassen, wir kommen zurück und bleiben bei euch, wir leben ganz und auch ihr werdet leben. In Christus dürfen sie wirklich zu uns so sprechen.

Bald werden wir alle zusammen ein Fest des Lebens ohne Ende erleben. Freuen wir uns sehr darauf und freuen wir uns, dass unsere Lieben bereits so weit sind. Amen

 

Chur, 2. November 2025

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

 

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