Festgottesdienst zum 200. Geburtstag für Mutter M. Theresia Scherer

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Liebe Schwestern und Töchter der seligen Mutter Maria Theresia Scherer
Liebe Mitbrüder
Liebe Pilgerinnen und Pilger
Liebe Gäste
Liebe Schwestern und Brüder

Als ich die Einladung erhielt, diesen ganz besonderen und denkwürdigen Geburtstagsgottesdienst zu feiern, habe ich keinen Augenblick gezögert. Es ist mir eine innige Freude, hier sein zu dürfen und am Grab der Seligen mit der ganzen Gemeinschaft von Ingenbohl samt vielen Verehrerinnen und Verehren von Mutter Maria Theresia die Eucharistie zu feiern. Die Schwestern von Ingenbohl haben mich auf einer langen Strecke meines Lebens begleitet und unterstützt. Als ich meinen Dienst im bischöflichen Ordinariat in Chur im Jahre 1981 begann, wirkte dort noch eine ansehnliche Zahl von Schwestern; dies noch während mehreren Jahren. Als ich vier Jahre später – 1985 – zusätzlich mein Wirken als Seelsorger am Limmattalspital in Schlieren aufnahm, fand ich dort auch die Schwestern von Ingenbohl. Sie leiteten und betreuten das Theodosianum, die Krankenpflegeschule und waren als Pflegefachfrauen auf allen Stationen des Spitals tätig. An beiden Orten durfte ich ihre leise, feinfühlige, geistreiche, kultivierte Unterstützung erleben – ich könnte viele Anekdoten erzählen – die ich bis heute nicht vergessen habe.

Die Inspiration und die Charismen, die Mutter Maria Theresia vor 200 Jahren empfing, haben bestimmt das Leben und die Art der Schwestern bis heute geprägt. Diese Prägung wird jeweils in der Gegenwart gelebt und fügt sich in die Bedürfnisse und Denkweisen der jeweiligen Zeit ein. So betrachtet bleibt diese Prägung aktuell und eine Bereicherung für die gesamte Kirche. Es geht um die Liebe und Sorge für die Leidenden, Armen und Benachteiligten der Gesellschaft. So begann die Gründung, die Geschichte der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz in Chur und breitete sich nach und nach in vielen Ländern aus. Der tiefste Beweggrund dieses Dienstes beschränkt sich nicht auf ein soziales Engagement, sondern entspringt der Liebe zu Gott und deswegen der Liebe zu den Menschen und zwar zu jenen, die am wenigsten Liebe empfangen. Deswegen ist es sehr passend, dass für das heutige Hochfest die Lesung aus dem 1. Korintherbrief mit dem Hohelied der Liebe bestimmt ist. Unsere Liebe zu Gott ist nur echt, wenn sie in einer Liebe zu den Nächsten Ausdruck findet. Das Abenteuer des christlichen Lebens besteht darin, stets Gott zu suchen, zu finden, ihm zu begegnen und ihn zu lieben. Es gibt keinen anderen Weg, dies zu verwirklichen, als auf die Suche nach dem Menschen zu gehen, den Menschen zu finden gerade dort, wo er sich befindet, dem Menschen wirklich ganzheitlich zu begegnen – darin war Mutter Maria Theresia wirklich eine Meisterin – und den Menschen mit Werken des Dienstes zu lieben. Wir kennen alle das Wort der Seligen: «Es geht darum, das Gramm Gold zu entdecken, das in jedem Menschen verborgen ist.» Auch heute lädt sie uns ein, auf Entdeckungsreise zu gehen. Wir werden nach und nach feststellen können, dass in jedem Menschen nicht nur ein Gramm Gold verborgen liegt, sondern ein kostbarer Schatz, der ans Tageslicht geboren werden soll. Diese Geburt erfordert Ausdauer, Geduld, Sensibilität, Vielseitigkeit. Die Bildungseinrichtung, welche die Ingenbohler-Schwestern nach und nach ins Leben berufen haben, weisen diese Merkmale auf. Es geht nicht nur um das fachliche, technische Können, sondern um die Förderung des ganzen Menschen, weitsichtig; es geht auch um die Förderung des Musischen, des Kulturellen, Künstlerischen und Spirituellen. Wie sehr haben diese schulischen und bildenden Einrichtungen der Ingenbohler-Schwestern zur Förderung der Frau und ihrer Stellung und Rolle in der Gesellschaft im Laufe der letzten 200 Jahre beigetragen!

Gerade vor ein paar Tagen wandte sich der Papst an die Studentinnen und Studenten aller Päpstlichen Universitäten von Rom und sprach von dieser Weitsichtigkeit der Bildung. Er betrachtete die Heilung der gekrümmten Frau im Lukas-Evangelium und sagte unter anderem: «Der Zustand der Unwissenheit, der oft mit Verschlossenheit und einem Mangel an geistlicher und intellektueller Unruhe verbunden ist, ähnelt dem Zustand dieser Frau: Sie ist ganz verkrümmt, in sich selbst zurückgezogen, deshalb es ihr unmöglich ist, über sich selbst hinaus zu schauen. Wenn der Mensch unfähig ist, über sich selbst, seine eigenen Erfahrungen, Ideen und Überzeugungen, seine eigenen Pläne hinauszublicken, bleibt er gefangen, bleibt er ein Sklave, unfähig, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Wie bei der gebeugten Frau im Evangelium besteht immer die Gefahr, dass wir Gefangene eines auf uns selbst gerichteten Blicks bleiben» (Predigt von Papst Leo am Montag, 27.10.2025).

Liebe Schwestern und Brüder, ich bin überzeugt, dass unsere Selige uns alle heute ermutigen möchte, diese Weitsichtigkeit, von der der Papst sprach, zu erlangen, die nur durch eine ganzheitliche Bildung und Erziehung möglich ist. Sie war sehr kühn und wagte avantgardistisch zu wirken. Heute würde sie uns bestimmt ermutigen, die neuen pädagogischen Möglichkeiten, die Errungenschaften und Fortschritte in der Gesundheitspflege, die neuen Erziehungsperspektiven, die sich durch die digitalen und virtuellen Medien eröffnen, ja auch die Künstliche Intelligenz für die Förderung des Menschlichen und des Glaubens positiv einzusetzen.

Im Herrn Geliebte, solche Beispiele der Seligkeit und Heiligkeit spornen uns an, eine Vorliebe für Arme, Hungrige, Durstige, Verfolgte, Gefangene, Diskriminierte und Kranke zu haben, damit sie durch das Leben und die Geschichte in Anerkennung ihrer unantastbaren Würde aufrecht voranschreiten können. Seien wir Werkzeuge dieser heilbringenden Hoffnung. Möge die selige Mutter Maria Theresia eine fürbittende Unterstützerin für uns alle in diesen Anliegen sein.

 

Kloster Ingenbohl, 31. Oktober 2025

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

 

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