"Friede sei mit euch!" - Pfingstpredigt
Lieber Mitbruder
Liebe Schwestern und Brüder
Die ersten Worte Jesu nach seiner Auferstehung – wie wir jetzt gehört haben – waren ein Friedensgruss. Unser Erlöser ging zu den Jüngern, die sich voll Furcht hinter verschlossenen Türen versteckt hielten und sagte zu ihnen: «Friede sei mit euch!» Es gibt viele Menschen in unserer Welt, die sich berechtigterweise fürchten müssen, es gibt unzählige Menschen, die gegenwärtig in grösster Angst leben, weil sie fürchten, dass in jedem Augenblick Bomben auf ihre Köpfe fallen könnten. Es gibt auch in unserer Umgebung Menschen, die Angst haben, die zittern wegen einer Krankheit, wegen Spannungen und Auseinandersetzungen in der Partnerschaft, Menschen, die höchst beunruhigt sind aufgrund der Instabilität ihrer Arbeitsstelle, ja, es gibt Menschen, die unter dem Alleinsein leiden und allein weinen müssen. Wie aktuell ist es doch, dass wir erfüllt vom Heiligen Geist, angespornt vom Geist der Liebe, der Güte, der Milde, des Verständnisses, der Vergebung, der Empathie, des Trostes, der Geborgenheit, der Geschwisterlichkeit, zu den Menschen in unserer Umgebung gehen… ich würde meinen, zu den Menschen in allen Kriegsgebieten unserer Welt, um ihnen mit unserem Heiland zu sagen: «Friede sei mit euch!».
Im Herrn Geliebte, wir haben seit genau einem Monat einen neuen Papst, der sich der Botschaft des Friedens für die Welt verschrieben hat. Als er zum ersten Mal auf der Balkon-Loge des Petersdoms erschien, waren seine ersten Worte: «Der Friede sei mit euch allen! Liebe Brüder und Schwestern, dies ist der erste Gruss des auferstandenen Christus, des Guten Hirten, der sein Leben für die Herde Gottes hingegeben hat. Auch ich wünsche mir, dass dieser Friedensgruss in eure Herzen eingeht, eure Familien erreicht, alle Menschen, wo immer sie auch sind, alle Völker, die ganze Erde. Der Friede sei mit euch! Dies ist der Friede des auferstandenen Christus, ein unbewaffneter und entwaffnender Friede, demütig und beharrlich. Er kommt von Gott, dem Gott, der uns alle bedingungslos liebt.»
In der ersten Lesung haben wir wieder einmal mehr gehört, was sich damals an Pfingsten in Jerusalem ereignete. Es heisst, dass sich Zungen wie von Feuer auf die Jünger verteilten. Wir sind gewohnt, bei Bild-Darstellungen von Pfingsten tatsächlich Feuerzungen auf den Köpfen der Apostel zu sehen. Ich bin aber der Ansicht, dass wir dies nicht so buchstäblich verstehen sollten. Es war vielmehr ein inneres Feuer, das die Herzen dieser Menschen entflammte. Die Aussage, dass die Zungen «sich verteilten», verstehe ich viel mehr als eine Inbesitznahme der Herzen der Apostel. Es ging um eine Ausweitung der Herzen, die plötzlich – kraft des Heiligen Geistes – offen waren für die verschiedenen Menschen vieler Nationen, Sprachen, Rassen, Kulturen, Hautfarben und Religionen. All diese Menschen hörten die Apostel in einer Sprache, die sie verstehen konnten «Gottes grosse Taten verkünden». Die grosse Tat Gottes geschah bei der Menschwerdung, dann am Kreuz. Sie geschah durch die Auferstehung und verewigte sich an Pfingsten. Es ist die Tat der Vergebung ohne Grenzen, der Liebe ohne Ausnahmen, einer Liebe, die nie aufhört und alle erreichen will.
Liebe Schwestern und Brüder, erlauben Sie mir, dass ich insistiere: Paulus spricht in seinem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth von den vielfältigen, verschiedenen Gnadengaben des Heiligen Geistes, von Diensten und Kräften und er unterstreicht dabei, dass jedem die Offenbarung des Geistes geschenkt wird «damit sie anderen nützt». Wenn wir zum Heiligen Geist beten, wenn wir möchten, dass er uns erfüllt und berät, trägt und beisteht, dürfen wir nie vergessen, dass sich der Heilige Geist nicht einschliessen lässt. Er kommt zu uns, aber nicht um allein bei uns zu bleiben, sondern zum Nutzen der andern, damit wir den andern dienen, ihnen beistehen, sie richtig beraten, trösten, ihnen helfen, Kraft geben und vor allem, damit wir ihnen unsererseits unsere Liebe schenken.
Vorher habe ich die ersten Worte des neuen Papstes zitiert und ich möchte nochmals zwei Adjektive wiederholen, die er verwendete. Er sprach von einem unbewaffneten und entwaffnenden Frieden. Zwei Tage später – im Gespräch mit den Medienschaffenden – verwendete er diese Adjektive nochmals. Er sagte nämlich: «Befreien wir die Kommunikation von allen Vorurteilen, Ressentiments, Fanatismus und Hass; befreien wir sie von Aggressivität. Wir brauchen keine laute, muskulöse Kommunikation, sondern vielmehr eine Kommunikation, die zuhören kann, die die Stimme der Schwachen, die keine Stimme haben, aufzugreifen vermag. Entschärfen wir die Worte, und wir werden dazu beitragen, die Erde zu entwaffnen. Eine entschärfte und entwaffnende Kommunikation ermöglicht uns einen gemeinsamen anderen Blick auf die Welt und ein Handeln, das unserer Menschenwürde entspricht».
Wie damals am Pfingstfest in Jerusalem ermöglicht uns der Heilige Geist eine Kommunikation ohne Aggressivität, ohne Muskeln, ohne Schärfe. Der Heilige Geist ermöglicht uns Kommunikation, Dialog, Austausch und Kontakte, die Sympathie, Zuneigung und Zärtlichkeit zum Ausdruck bringen. Wenn wir stets entwaffnete und entwaffnende Worte und Begriffe, Gesten und Ausdrücke benützen, haben wir den besten und wirksamsten Beitrag für den Frieden in der Welt geleistet.
Einmal – vor vielen Jahren – es war wahrscheinlich in den 70er Jahren – aber ich habe es nie vergessen – fuhr ich in Zürich im Tram. An einer Haltestelle wartete ein älteres Ehepaar auf das Tram. Die Türen gingen auf, die Frau stieg ein, der Mann aber hatte Mühe mit dem Einsteigen. Bevor er es tun konnte, gingen die Türen zu und das Tram begann wegzufahren. Die Frau im Tram war total entsetzt und anstatt ihrem perplexen hilflosen Mann auf der Haltestelle durch das Fenster – in den damaligen Trams war das noch möglich – ein Wort des Trostes zu sagen, schrie sie ihm durch das Fenster zu: Du bist ein Löli! Wie gesagt: Nach so vielen Jahren habe ich das nie vergessen.
Liebe Schwestern und Brüder, möge uns der Heilige Geist erfüllen, möge er uns – wie damals – das Herz ausweiten, damit wir – angefangen bei der Art unserer Kommunikation – Licht, Freude und Frieden, Vergebung und Liebe in der Welt ausstrahlen können. Amen
Chur, 8. Juni 2025
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur