Mitternachtsmesse am Heiligen Abend mit Bischof Joseph Maria Bonnemain

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Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

Wie wir gehört haben, sagte der Engel zu den Hirten: «Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine grosse Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.» Es ist berechtigt zu fragen, ob die Hirten wirklich verstanden haben, was der Engel sagte: Der Herr des Universums, der gesalbte Heiland soll in einer Futterkrippe liegen? Der Allmächtige soll ein Kind sein, gewickelt in Windeln? Haben die Hirten verstanden, dass dieses Kind in seiner Unauffälligkeit das grösste Geschenk ist, das Gott uns Menschen machen kann? Konnten sie erahnen, dass Gott trotz allem, was in dieser Welt ist, Armut, Gewalt, Ablehnung, Verfolgung, Kälte und Dunkelheit, nie bereuen wird, Geschenk für die Welt zu sein? Er schenkt sich, identifiziert sich mit der ganzen Armseligkeit und bleibt so Geschenk für die Menschen bis zum Ende der Zeiten. Er will, dass durch seine Anwesenheit die Kälte ein wenig weniger kalt wirkt, dass die Dunkelheit eine Spur der Hoffnung ausstrahlt, dass die Ablehnung und Verfolgung einen Keim von Annahme, Frieden und Geschwisterlichkeit enthalten.

Im Herrn Geliebte, wenn ich so spreche, wenn ich das betrachte, erachte ich es als notwendig, dass wir besonders heute an jene besonders denken, die in den Kriegsgebieten der Welt bombardiert werden, die unter zerstörter Heimat leiden, die ohne Wärme und Heizung im bittersten Winter frieren, die im Dunkel ohne Strom tappen müssen. Wenn wir uns an Weihnachten nicht zutiefst bewegt und solidarisch mit ihnen fühlen, dürften wir nicht Weihnachten feiern. Durch unsere Solidarität verwirklichen wir ansatzweise die Jesaja-Prophezeiung: «Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschattens wohnten, strahlte ein Licht auf.»

Wenn wir Weihnachten feiern, wissen wir uns angespornt, diese andere Logik Gottes nachzuahmen. Gott will Geschenk für die Welt bleiben und wenn wir nicht aufgeben, unsererseits Geschwisterlichkeit und Versöhnung zu schenken, tragen wir zu einer besseren Welt bei.

«Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens

Wenn ich betrachte, dass Gott Geschenk für uns werden wollte, denke ich an eine Weihnachtsgeschichte, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

In einer Familie lebte Miriam, ein 5-jähriges Mädchen. Eines Tages bemerkte der Vater, dass sein Töchterchen eine Rolle mit kostspieligem Goldpapier zerschnitt und eine Schachtel damit verzierte. Er wurde zornig, weil dies nach seiner Meinung eine Verschwendung war. Das Papier hatte viel gekostet und Miriam hatte die ganze Rolle verbraucht. «Und das nur um eine grosse Schachtel zu bekleben», schimpfte er. Am anderen Morgen, als der Vater gerade Zeitung las, stand auf einmal sein kleines Mädchen vor ihm, gab ihm die goldverzierte Schachtel und sagte mit einem scheuen Lächeln: «Das ist ein Geschenk von mir für meinen liebsten Papi». Der Vater war verlegen, hatte er doch am Vortag so lieblos reagiert. Er öffnete die Geschenks Schachtel. Doch schon wieder umwölkte sich sein Gesicht. Die Schachtel war leer. Verärgert bemerkte er: «Weisst du eigentlich nicht, kleines Fräulein, dass in einer so teuren Verpackung auch etwas drin sein sollte, wenn man sie jemandem als Geschenk gibt.» Miriam sah ihn erstaunt an, Tränen kullerten über ihre Wangen. «Papi, sie ist doch gar nicht leer», schluchzte sie. «Ich habe doch so viele Küsschen hineingegeben, bis sie ganz voll war.» Da war der Vater zutiefst beschämt und zerknirscht: «Verzeihe mir bitte, wie konnte ich nur so dumm sein». Kurze Zeit später starb Miriam an Leukämie. Der Vater – immer, wenn er traurig und mutlos war – nahm die Schachtel und öffnete sie. In Gedanken nahm er dann eines der Küsschen heraus und drückte es an sein Herz. Dann erfüllt tiefe und innere Freude seine Seele und seine Augen wurden feucht.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott hat uns nicht etwas geschenkt, sondern er ist selbst Geschenk für die Menschheit geworden. Das Geschenk liegt verborgen in der Armseligkeit des Neugeborenen, leer von Macht und Pomp, einzig geziert durch die Zuneigung und Wärme von Maria und Josef, vom Bestaunen der Hirten. Das kleine Jesuskind beinhaltet aber ein liebender Kuss Gottes, die Vereinigung Gottes mit jedem Menschen und mit allen Menschen. Seine Hingabe wird nie ausgehen, damit wir, wenn wir traurig, mutlos, im Dunkel und in der Kälte des Lebens gehen, Trost und Wärme, Zärtlichkeit und Licht erfahren können. Dieses Kind ist wahrhaft später für uns gestorben, das heisst: Jesus, der Sohn Gottes, hat sein Leben für uns hingegeben und ist dann für immer Lebens- und Liebesquelle verborgen in der Eucharistie für uns geworden. Wie unscheinbar sieht die Eucharistie auf unseren Altären aus: Noch kleiner und verborgener, noch ohnmächtiger und bedürftiger als damals das Kind in Bethlehem. Diese kleine Eucharistie auf dem Altar enthält jedoch die ganze Liebe Gottes für uns Menschen. Jede Eucharistiefeier hat mit Weihnachten viel zu tun. Versuchen wir bei der Kommunion so liebevoll mit ihm umzugehen, ja mit dem kleinsten Kind unter uns, wie er mit uns liebevoll umgehen will. «Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. (…) Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.» Amen

 

Chur, 24. Dezember 2025

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

 

 

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