Pontifikalamt zu Palmsonntag
Liebe Mitbrüder,
liebe Schwestern und Brüder
Der Palmsonntag ist die Ouvertüre einer dramatischen Symphonie, welche sich über die Karwoche hin erstreckt bis zur Apotheose der Osternacht bzw. des Ostersonntags. Wir könnten von der liturgischen Vergegenwärtigung der Pilgerfahrt unseres Herrn während dieser absolut einmaligen Woche der Weltgeschichte sprechen. Wir feiern in diesen Tagen den Weg Jesu, der mit dem Einzug in Jerusalem beginnt und dort mit seiner Kreuzigung auf Golgotha endete. Es war ein Weg des grausamen Leidens, eine Strecke des Schmerzes und – menschlich gesehen – ein Weg zur Hinrichtung, ein Weg des restlosen Scheiterns. Dies wäre so gewesen, wenn das Ende des Weges ENDE geblieben wäre. Die Karwoche aber endet mit der Auferstehung, nicht mit der Kreuzigung.
Im Herrn Geliebte, so betrachtet, können wir sagen, dass der Pilgerweg unseres Heilands und Erlösers während jener sieben schmerzvollen, dunkeln Tagen eine Pilgerfahrt der Hoffnung gewesen ist. Jesus Christus ist im Grunde der Pilger der Hoffnung schlechthin. Seine Karwoche war die Pilgerfahrt Gottes für die Hoffnung der Menschheit. Ich wollte heute – wie Sie merken – das unterstreichen, weil der Papst das diesjährige Heilige Jahr bekanntlich unter das Motto Pilger der Hoffnung gestellt hat. Als Christinnen und Christen sind wir in der Nachfolge Christi tatsächlich – wie er – dazu berufen, Pilger der Hoffnung für die Welt zu sein.
Für das Paschafest wurden bekanntlich in Jerusalem die Lämmer geschlachtet. Für die Lämmer bedeutete dieses Geschlachtet-Werden nur Tod und Ende. Für Christus, als Lamm Gottes, bedeutete seine Hingabe am Kreuz nicht das Ende, sondern die Öffnung des himmlischen Portals und zwar mit ihm und durch ihn und in ihm für die ganze Menschheit. Das jüdische Volk feiert am Pascha den Durchgang durch das Rote Meer. Es geht um den Übergang von der Gefangenschaft und dem Exil in die Freiheit und in die Heimat. Das, was für Menschen unmöglich war, hat Gott damals am Meer möglich gemacht.
So ist Pascha – Ostern – das Fest und der Sieg des Lebens schlechthin. Die Kreuzigung ist nicht Ende, die Pilgerfahrt Jesu in der Karwoche endet nicht am Ende, sondern endet in der Fülle des Lebens. Die ganzen Ereignisse der Karwoche, die wir heute eröffnen, ist durch und durch Pascha, Durchgang, Übergang, Pilgerweg in das Leben. Was damals am Palmsonntag begann, endete nicht im Dunkel des Kreuzes, in einer Sackgasse, sondern ging weiter ins Licht und in die Vollendung.
Liebe Schwestern und Brüder, wie sehr sind wir eingeladen, für uns selber und für alle eine Botschaft der Hoffnung zu verkörpern. Wir können das Leiden und die Engpässe des Lebens nicht verleugnen. Wir können nicht verleugnen, dass die gegenwärtige geopolitische Lage der Welt besorgniserregend ist. Nicht wenige Herzen erleben eine beängstigende Beklemmung, viele sind unsicher, entmutigt, gar pessimistisch geworden; es gibt tatsächlich genügend Gründe, um so zu fühlen. Wenn wir aber die Karwoche im richtigen Sinn feiern, können wir erfahren, dass mit Christus alle Leidenswege der eigenen Biographie und der Welt in ein Fest des Lebens münden können,
Möge Gott uns alle innerlich erleuchten, uns die Gnade schenken, diese Tage im Licht der Hoffnung zu gestalten. Als Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung sollte unser Leben die Pascha-Botschaft verkünden.
Damals rief das Volk: «Gesegnete sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Frieden und Ehre in der Höhe». Pilger der Hoffnung zu sein, heisst nichts anderes, als glaubwürdig zu verkünden, dass unser Erlöser durch seine Pilgerfahrt den himmlischen Frieden auf die Erde gebracht hat. Und die Ehre in der Höhe, die Ehre Gottes ist mit ihm und durch ihn die Ehre des Menschen geworden. Durch seine Liebeshingabe für uns hat Jesus die unermessliche Würde eines jeden Menschen für immer besiegelt. Gott hat unendlich Freude am unendlichen Wert des Menschen, weil sein Sohn Mensch geworden ist und sich für immer mit uns identifiziert hat. Pascha ist nicht nur der Durchgang des Menschlichen in den Himmel, sondern auch des Göttlichen zu den Menschen: Was für eine Hoffnung! Was für eine unbesiegbare Hoffnung!
Liebe Schwestern und Brüder, hören wir nie auf, diese Hoffnung laut zu verkünden. Wie es auch im heutigen Evangelium heisst: wenn wir das nicht mehr schreien würden, würden die Steine schreien. Amen
Chur, 13. April 2025
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur