Weihnachtsmesse an Heiligtag mit Bischof Joseph Maria Bonnemain

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„Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheisst.“

 

Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

Der Prophet Jesaja erahnte manche Jahrhunderte im Voraus das Kommen Gottes zur Menschheit, als Messias, Heiland und Retter. Er kommt zu uns nicht nur als Freudenbote, sondern als Freude selbst für die Menschen. Er ist nicht nur ein Ankündiger des Friedens, sondern der Friede selbst. Er bringt nicht nur eine Frohbotschaft, sondern er ist selber die Frohbotschaft schlechthin. Und er verheisst nicht bloss Heil, sondern er ist das Heil für die ganze Menschheit. Wie unermesslich ist das, was wir an Weihnachten feiern!

Was wir im Grunde feiern, ist das Geheimnis Gottes als unermüdlicher Wanderer zu den Menschen. Dieses Kommen zu uns hätte er überhaupt nicht nötig: «Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott

und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist.» Gott ist die Quelle, aus der alles entstanden ist. Wozu sollte er, als unerschöpfliche Quelle, Interesse haben, zu den auf Erden spärlich fliessenden Rinnsalen zu gelangen? Und noch weniger, als er – nach wiederholten Versuchen durch Botschafter und Propheten, durch Richter und Gesandte – immer wieder von uns Menschen enttäuscht wurde: «Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf

Die Liebe aber ist enttäuschungsresistent. Gott, der die Liebe ist, lässt sich nicht enttäuschen, das bringen wir Menschen nicht fertig. Im Gegenteil: Gott hat sich entschlossen, in einer Art zu uns zu kommen, so persönlich, dass keine Retour mehr möglich ist. Er ist für immer eine Schicksalsgemeinschaft mit den Menschen eingegangen. So verrückt ist die göttliche Liebe: «Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt

Der gewagteste Exodus hat Gott unternommen nicht aus eigenem Interesse, sondern weil wir ihn stets interessieren. Vor einigen Tagen – in seiner Ansprache an die Römische Kurie hat Papst Leo auch davon gesprochen: Unser Missionsauftrag ergibt sich aus der Tatsache, dass Gott selbst sich zuerst auf den Weg zu uns gemacht und in Christus gekommen ist, um uns zu suchen. Die Mission hat ihren Ursprung im Herzen der Heiligsten Dreifaltigkeit: Gott hat nämlich seinen Sohn geweiht und in die Welt gesandt, damit »jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat« (Joh 3,16). Der erste grosse „Exodus“ ist also derjenige Gottes, der aus sich selbst herausgeht, um uns entgegenzukommen. Das Geheimnis von Weihnachten verkündet uns genau dies: Die Mission des Sohnes besteht in seinem Kommen in die Welt.

In den letzten Tagen habe ich bereits ein paar Mal eine Weihnachtsgeschichte erzählt, die nach meiner Ansicht diese Pilgerfahrt Gottes zu uns Menschen anschaulich darstellt:

Ein Schüler, in einer abgelegenen Südseeinsel, schenkte seiner Lehrerin einige Tage vor Weihnachten eine Muschel von ausgesuchter Schönheit. Nie zuvor hatte die Lehrerin etwas Schöneres gesehen, das vom Meer angespült worden war. «Wo hast du denn diese wunderschöne und kostbare Muschel gefunden?» fragte sie ihren Schüler. Der Junge erklärte, dass es nur eine einzige Stelle auf der anderen Seite der Insel gäbe, an der man gelegentlich eine solche Muschel finden könne. Etwa 20 Kilometer entfernt sei eine kleine versteckte Bucht, dort würden manchmal Muscheln dieser Art angespült. «Sie ist einfach zauberhaft», sagte die Lehrerin. «Ich werde sie mein Leben lang bewahren und dich darum nie vergessen können. Aber du sollst nicht so weit laufen, nur um mir ein Geschenk zu machen.» Mit leuchtenden Augen sagte der Junge: «Der lange Weg ist ein Teil des Geschenkes.»

Diese Geschichte hat viel mit Weihnachten zu tun. Jesus hat die unendliche Distanz zwischen Himmel und Erde zurückgelegt, um immer mit uns zu sein. Seine Entscheidung, der Gott mit uns – Immanuel – sein zu wollen, dieses Geschenk ist der grösste Beweis seiner Liebe. Wäre dann die Frage nicht berechtigt: Findet Gott uns immer, wenn er ankommt? Wir sind heute hierhergekommen und es ist sehr schön, dass auch wir uns für Gott auf den Weg gemacht haben. Das dürfte aber nicht etwas sein, das wir nur ein Mal pro Jahr, nur gelegentlich tun.

Vor kurzem gab ich ein Interview und der Journalist stellte mir die Frage: Wo ist Gott? Ich antwortete ihm: Nach meiner Ansicht stellt sich viel mehr die Frage, wo ist der Mensch? Wenn wir die Lage in der Welt betrachten: die Opfer von Kriegen und Naturkatstrophen, die Kinder, die ohne Schuld leiden, hungern und sterben, stellen sich viele Menschen wirklich die Frage: Wo ist Gott? Und darum sage ich nochmals: Sollten wir uns nicht vielmehr die Frage stellen: Wo sind die Menschen, die bereit sind, solche Situationen zu verändern? Wo sind die Menschen, die bereit sind, mit dem Sich-bekriegen aufzuhören? Wo sind die Menschen, die aufhören, lieblose, aggressive, verletzende Ausdrucksweisen zu verwenden?

Heute ist ein sehr geeigneter Tag, um sich von Neuem zu entscheiden, auch unsererseits Weihnachten für die Welt zu sein. Es geht darum, die anderen nicht nur zu beschenken, sondern selbst für die anderen Geschenk zu werden: Dort, wo wir leben und sind, dort, wo wir arbeiten und uns erholen, dort, wo wir gemeinsam mit anderen etwas unternehmen. Dies nicht nur, wenn die anderen gut reagieren – dankbar – sondern auch, wenn sie unser Geschenkwerden nicht schätzen. Die Liebestreue Gottes liess sich nicht von der Undankbarkeit der Menschen enttäuschen. In der Nachfolge Jesu sollten wir auch den Menschen treu bleiben und uns von möglichen Enttäuschungen in der Liebe nicht ernüchtern lassen. Unser Ja zu den Menschen bringt Weihnachten im Heute. Amen

 

Chur, 25. Dezember 2025

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

 

 

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