Zweiter Bistumstag in Ingenbohl - ein wundervoller Tag auf dem Klosterhügel
Predigt von Bischof Joseph Maria Bonnemain
Geschätzte Verantwortliche staatlicher, staatskirchenrechtlicher und kirchlicher Institutionen und Organe
Liebe Gläubige der Bistumsregion Urschweiz, aus den anderen Bistumsregionen und darüber hinaus
Liebe Schwestern und Brüder
Die Aufforderung des Apostels Jakobus, die wir in der Lesung gehört haben, ist kristallklar: Das Evangelium, unser Glaube, die Nachfolge Christi sind nicht primär eine Sammlung von Geboten, Theorien, Vorschriften, Verfügungen, Anordnungen und Ritualen. Die Frohbotschaft des Christentums ist eine Person, Jesus Christus, der Sohn Gottes unter uns Menschen gegenwärtig. Wirklich glauben heisst, ihm begegnen, ihn lieben und ihm dienen, der krank, einsam, gefangen, ausgestossen, arm, diskriminiert, hungrig und durstig in unseren Mitmenschen in unserer Nähe ist. Die Diakonie ist zentral im Glauben, ist zentral in der Hoffnung und ist unentbehrlich in der Liebe.
Als ich am 19. März 2021 in der Churer Kathedrale zum Bischof geweiht wurde – mitten in der Pandemie – konnten nur sehr wenige Gottesdienstteilnehmende anwesend sein. Mir war es jedoch ein Anliegen, auch Vertreterinnen und Vertreter der Kranken, aus dem Kreis der Sexarbeitenden, der Gefangenen, Betagten und Bedürftigen und aus Familien als Mitfeiernde in der Kathedrale dabeihaben. Ein Bischof hat mir vorgeworfen: Mich hast du nicht eingeladen, dafür waren Randständige bei deiner Bischofsweihe dabei. Selbstverständlich kann ich verstehen, dass mein Mitbruder enttäuscht war. Dennoch würde ich heute genauso handeln. Wie könnte ich sonst behaupten, Jesus treu zu sein, wenn ich nicht die Nähe zu jenen suchen würde, mit denen er sich identifiziert hat?
Nun, die entscheidende Frage bleibt dennoch: Als was betrachten wir all jene, welche die Mitte der kirchlichen Diakonie darstellen? Als Empfänger unserer Liebe oder als Quelle der göttlichen Liebe? Verstehen wir sie als passive Objekte unseres Dienstes, unserer Barmherzigkeit bzw. Wohltätigkeit oder als aktive Subjekte des kirchlichen Lebens? Sind die Bedürftigen, die Suchenden und die Ausrangierten der Gesellschaft Empfänger unserer Barmherzigkeit oder Protagonisten der Erneuerung unserer Kirche? Wir wünschen uns alle eine geschwisterliche, transparente und synodale Kirche; nur mit dem aktiven Beitrag jener, die kaum eine Stimme in der Kirche haben, werden wir diesen Wunsch verwirklichen können. Auch im gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Leben bleibt diese Alternative massgebend. Sind die Armen und Schwachen Empfänger der Almosen der Gesellschaft, eine Last, die mit christlicher Solidarität und Fassung zu tragen ist, oder sind wir wirklich davon überzeugt, dass gerade sie die Protagonisten und der Motor der Entwicklung und der Fortschritt der Gesellschaft sein sollten? Realisieren wir, dass sie, die Stimmlosen, die Flüchtlinge und Lebensgestrandeten die wahre Schule echter Menschlichkeit sind, der unverzichtbare Ansporn, damit wir aus dem Individualismus, aus den egoistischen Komfortzonen des Wohlstandes, aus der sterilen Selbstzentriertheit ausbrechen können? Welchen Wert hat ihre Stimme in einer Kirche, die sich synodal nennt?
Das Evangelium des von vier Freunden getragenen Gelähmten stellt uns diesen Paradigmenwechsel vor Augen. Dieser kranke Mann wird zu Jesus wie ein Eindringling, fast wie ein Einbrecher, unerlaubt und unvorhergesehen hineingebracht. Er darf nicht durch die Türe der offiziell Anwesenden zu Jesus gelangen. Er fühlte sich bestimmt verlegen, unwürdig, unwohl, nicht willkommen geheissen vom Hausbesitzer und von den Gästen desselben. Jesus verändert die Situation total. Der Gelähmte wird allmählich der Protagonist der Begegnung, eine Schule des Heils für alle Anwesenden, ein Ansporn zur Gewissenserforschung. Alle merkten, dass ihre Gedanken nicht die Gedanken des Heilandes waren. Zuerst gab es bei all der Menge keinen Platz, damit der Kranke normal hineingebracht werden konnte. Nach der Begegnung mit Jesus kann er jedoch mühelos durch alle Anwesenden hindurchschreiten, die für ihn Platz machen müssen. Er geht nicht nur sündenfrei, erlöst und geheilt weg. Er geht vor allem mit der Wiedererlangung seiner Würde in der Gesellschaft hinaus. Er ist nicht mehr ein geduldeter Störer, sondern ein anerkanntes Mitglied der Gemeinschaft.
Jesus trägt ihm auf, seine Liege mit nach Hause zu nehmen. Ich frage mich: wozu? Er ist nicht mehr gelähmt, daher braucht er doch keine Liege mehr. Hätte er seine Liege nicht einfach dort liegen lassen können? Gibt Jesus ihm diesen Auftrag nur der Ordnung zuliebe? Damit die Liege nicht herumliegt? Was meinen Sie? Ich habe meine eigene Deutung. Diese Tragbahre bei ihm zu Hause wird ihn sein Leben lang daran erinnern, dass Jesus der Hersteller und Garant nicht nur seiner physischen Gesundheit, sondern auch seiner menschlichen Würde ist. Es wäre vielleicht angebracht und schön, wenn jeder von uns zu Hause irgendetwas hätte, das uns daran erinnern würde, dass Jesus Christus der beste Garant und Verteidiger unserer Menschenwürde ist. Als Christinnen und Christen, als Menschen, die Christus nachfolgen, dürfen wir nicht mit dem Komplex leben, dass der Glaube uns hindert und einschränkt, sondern mit der Zuversicht, dass der Glaube das Beste aus dem Menschen herausholt und zum Blühen bringt. Das ist das Ziel des Bistumsjahres, dass wir alle im Bistum aus der Überzeugung leben: Auf Gott zu hören, ihm in den Bedürftigen und Schwachen zu begegnen und mit unserem Handeln und Leben Frohbotschaft in und für die Welt zu werden. Diese Überzeugung und ihre Umsetzung schenkt unserem Leben eine ungeahnte Dimension und eine Erfüllung, welche das rein Weltliche uns niemals schenken kann. Amen
Ingenbohl, 27. September 2025
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur
Gebete, Grusswort und Replik
Eröffnungsgebet des Wortgottesdienstes von Bischof Joseph Maria
Guter Gott, wir sind hier zusammengekommen und feiern ein Fest des Lebens.
Lasst uns hören:
Worte der Ehrlichkeit, Worte der Nächstenliebe, Worte des Glaubens.
Lasst uns handeln:
Mit Zuversicht, mit Anteilnahme, mit Rat und Tat.
Lasst uns hoffen:
Auf Versöhnlichkeit, auf Gerechtigkeit, auf Frieden.
Darum bitten wir durch Jesus Christus. Amen
Grussworte des Präsident des Landeskirchenvorstandes Schwyz, Lorenz Bösch
Liebe Mitchristen
Lieber Bischof Joseph Maria
Als Vertreter der Kantonalkirche Schwyz - und ich denke auch im Namen aller Landes- und Kantonalkirchen der Urschweiz und Ihnen liebe Mitfeiernde - danke ich unserem Bischof Joseph Maria Bonnemain und dem Bischofsrat für die Einladung zum und zur Organisation des heutigen Begegnungstages.
Bischof Joseph Sie sind ein den Menschen zugewandter Hirte und Sie arbeiten tatkräftig für ein synodales Bistum. Der heutige Tag ist ein Element davon. Was Papst Franziskus vorlebte und postulierte und nun von Papst Leo fortgesetzt wird, ist auch ihre Herzensangelegenheit. Dafür danken wir Ihnen sehr. Sie folgen einem Bedürfnis der Zeit.
Im 19. Jahrhundert waren es Mutter Maria-Theresia und Pater Theodosius Florentini, die sich ganz in den Dienst der Bedürfnisse der Zeit stellten. Das Kloster Ingenbohl engagierte sich stark im Gesundheits- und Sozialwesen und der Bildung. Die Schwesterngemeinschaft trugen Wesentliches zur Linderung der damaligen Not in der armen Urschweiz und zum Aufbau des Bildungs- und Gesundheits- und Sozialwesenswesens in unserer Region und darüber hinaus bei. Ich danke der Provinzoberin und der Provinzleitung ganz herzliche für das Gastrecht hier auf dem Hügel.
Ich wünsche Ihnen allen nach dem Gottesdienst eine gute Heimkehr vom Klosterhügel Ingenbohl. Unsere menschenwürdige, freiheitliche und friedliche Gesellschaft braucht die Botschaften des Evangeliums und ihr persönliches Wirken in dieser und der kommenden Zeit.
Herzlichen Dank für ihr Engagement
Schlussmeditation – Gebet der Hoffnung
Möge Gottes Macht mich leiten
Gottes Kraft mich beflügeln
Gottes Weisheit mich lehren
Möge Gottes Wort mich stärken
Gottes Hand mich retten
Gottes Wille mich führen
Möge Gottes Liebe mich erwärmen
Gottes Freude mich erheitern
Gottes Friede mich umfassen
Segne oh Gott, was meine Hoffnung ist!
Replik auf den Bistumstag
Manuela Moser, Informationsbeauftragte des Generalvikars Luis Varandas, fast den zweiten Bistumstag zusammen:
Kloster Ingebohl und M.M. Theresia Scherer
Das Kloster Ingenbohl ist das Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz (Ingenbohler Schwestern) und befindet sich in Ingenbohl, oberhalb von Brunnen im Kanton Schwyz, nahe dem Vierwaldstättersee. Es wurde im 19. Jahrhundert während einer Zeit grosser Not und sozialer Umbrüche gegründet.
-
Gründer: Der Kapuziner Pater Theodosius Florentini erwarb 1855 den sogenannten Nigg'schen Hof, der zum Mutterhaus wurde. Nach seinem Tod führte Schwester Maria Theresia Scherer die Gemeinschaft weiter. Sie wurde 1857 Generaloberin und 1995 seliggesprochen.
-
Die Kongregation entwickelte sich vom Mutterhaus aus zu einer internationalen Gemeinschaft mit über 3200 Schwestern in 17 Ländern. Im Jahr 2025 feiern die Schwestern das 200. Geburtsjahr ihrer Gründerin mit einem umfangreichen Jubiläumsprogramm.
-
Die Klosterkirche wurde 1973–1974 erbaut und ist für ihre Glasfenster und Orgel bekannt. 1975 wurde die Krypta eingeweiht, in der Mutter Maria Theresia Scherer bestattet ist.
-
Das heute moderne Alterszentrum mit 76 Einzelzimmern und offenem Café steht auf dem Klostergelände und wurde 2023 fertiggestellt.
-
Regelmässige Gottesdienste, Wallfahrten und zahlreiche Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr 2025, darunter der neu eröffnete Klosterweg und eine große Ausstellung "Der Brüchigkeit trotzen" vom 16. Mai bis 31. Oktober.
-
Das Kloster ist offen für Besucher und Pilger, die Kontaktmöglichkeiten finden sich auf der offiziellen Webseite und unter den Kontaktdaten im Profil.
Leben und Wirken von Mutter Maria Theresia Scherer
Schwester Maria Theresia Scherer (geboren am 31. Oktober 1825 in Meggen LU, gestorben am 16. Juni 1888 in Ingenbohl) war eine Schweizer Ordensschwester, engagierte Sozialpionierin und die erste Generaloberin der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz, auch als Ingenbohler Schwestern bekannt.
-
Schon im Alter von 19 Jahren trat sie 1844 den Lehrschwestern vom Heiligen Kreuz in Menzingen bei, engagierte sich aber bald nach ihrer Berufung in Chur in der neuen Gemeinschaft, die sie mit Pater Theodosius Florentini ab 1852 in Chur aufbaute.
-
Nach dem Umzug des Mutterhauses nach Ingenbohl im Jahr 1856 wurde sie 1857 zur ersten Generaloberin gewählt und leitete die Kongregation bis zu ihrem Tod im Jahr 1888 mit grosser Umsicht.
-
Sie war für ihre tiefe Menschenkenntnis, Empathie und ihren Einsatz für Arme, Kranke, Kinder und Menschen mit Behinderung bekannt.
-
Nach dem Tod von Pater Florentini 1865 übernahm sie mit grosser Entschlossenheit die Leitung, sanierte das Institut wirtschaftlich und baute das Engagement der Schwestern im In- und Ausland weiter aus.
-
Während ihrer Amtszeit entstanden zahlreiche Schulen, Spitäler, Kinderheime und andere soziale Einrichtungen in der Schweiz und Europa.
-
Schwester Maria Theresia Scherer wurde 1995 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
-
Ihr Grab befindet sich in der Krypta des Klosters Ingenbohl und ist Ziel zahlreicher Pilger, die auf ihre Fürsprache hoffen.
-
Zu ihrem 200. Geburtstag im Jahr 2025 finden zahlreiche Gedenkveranstaltungen, Gottesdienste und ein neu eingerichteter Klosterweg zu ihren Ehren statt.
Jubiläumsjahr 2025 - Gottesdienst mit Bischof Joseph Maria
Das Jubiläumsjahr 2025 am Kloster Ingenbohl steht ganz im Zeichen des 200. Geburtstags der Gründerin Mutter Maria Theresia Scherer. Über das ganze Jahr hinweg finden zahlreiche Veranstaltungen, Gottesdienste und kulturelle Highlights auf dem Klosterhügel statt, die das Engagement und Erbe der Ordensfrau feiern.
-
Jeden 16. des Monats: Feierlicher Gottesdienst in der Klosterkirche mit einem kurzen Impuls aus dem Wirken von Maria Theresia Scherer.
-
16. Mai bis 31. Oktober 2025: Ausstellung „Der Brüchigkeit trotzen“, bei der Kunstwerke von Mitschwestern und externen Künstlerinnen und Künstlern präsentiert werden.
-
31. Oktober 2025: Festgottesdienst zum 200. Geburtstag mit dem Bischof von Chur, als liturgischer Höhepunkt.
-
Weitere Termine: Pilgertage, literarisch-musikalische Veranstaltungen, musikalische Abendgebete, Führungen und Konzerte im Verlauf des Jahres.
-
Öffentliche Führungen auf dem Klosterweg sind auf Anfrage möglich.
Weitere Informationen finden sich direkt auf der Seite des Klosters Ingenbohl.
Ingenbohl, 27. September 2025
Nicole Büchel
Kommunikationsverantwortliche Bistum Chur
Fotos: Nicole Büchel