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Bistum Chur

Brücke zum Islam – Ein Wort zum Neujahr 2016, zum Weltfriedenstag und zum Hochfest der Gottesmutter Maria

In Misericordiae Vultus, Verkündigungsbulle des Außerordentlichen Jubiläums der Barmherzigkeit, kommt Papst Franziskus auf das Judentum und den Islam zu sprechen: „Die Barmherzigkeit ist auch über die Grenzen der Kirche hinaus bedeutsam. Sie verbindet uns mit dem Judentum und dem Islam, für die sie eine der wichtigsten Eigenschaften Gottes darstellt“ (23). Zu diesem Wort des Heiligen Vaters einige kurze Gedanken.
Für das Judentum, dessen Glaube auf der Heiligen Schrift, für uns Christen auf dem Alten Testament, gründet, ist der Hinweis des Heiligen Vaters fraglos. Der Begriff von Gottes Barmherzigkeit ist in der Offenbarung des Alten Bundes grundgelegt: „Denk an dein Erbarmen, Herr, und an die Taten deiner Barmherzigkeit; denn sie bestehen seit Ewigkeit“. So fasst Psalm 25 (V 6) das erbarmende Walten Gottes für die Zeit des Alten Bundes zusammen, und die Offenbarung des Neuen Testamentes ist gleichsam die letzte Konsequenz von Gottes Barmherzigkeit, wie wir sie im Alten Bund erfahren.
Die Thematik der Barmherzigkeit Gottes in der Lehre des Islam kennt nicht die Entfaltung, welche dem Alten Testament eigen ist. Wohl ist von Gott als dem Barmherzigen die Rede. Die Bedeutung dieser Aussage bleibt aber innerhalb der Grenzen der Prädestinationslehre, und gilt in diesem Sinn nicht für den Menschen im allgemeinen. Deshalb ist die Thematik von Gottes Barmherzigkeit nur bedingt ein Anknüpfungspunkt für den Dialog mit dem Islam. Weitere Anknüpfungspunkte sind notwendig.
Bedingt durch die Globalisierung und durch kriegerische Auseinandersetzungen begegnen sich heute Christentum und Islam in neuer Weise. Daher stellt sich für den Christen die Frage: Wie kann ich den christlichen Glauben einem Anhänger des Islam erschließen? Durch unsere gemeinsame Lebensgrundlage, dadurch dass wir mehr und mehr miteinander Land und Alltag teilen und einander begegnen, geht es nicht ohne ein gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen. Wir müssen, durch die Lebensumstände bedingt, miteinander in Dialog treten.
Der Dialog könnte, da wir uns ja Christen nennen, bei der Person von Jesus Christus beginnen; denn sein Name wird im Koran erwähnt. Jesus Christus ist dem Islam nicht fremd, und er findet durchaus Bewunderung und Anerkennung bei dessen Jüngern. Doch – und das ist für das Gespräch erschwerend – die Gottessohnschaft Jesu wird im Koran abgelehnt. Was für uns Christen die Mitte unseres Glaubens ist, bleibt in einem Dialog außen vor. Das drückt sich schon in der Namengebung aus. Wenn der Koran auf Jesus Bezug nimmt, spricht er von Isa. Dies ist eine Verfremdung des Namens unseres Herrn. Auf diese Weise geht die Bedeutung von Jesus als Retter, Retter der Menschheit, verloren. Verloren geht aber zum Teil auch die Grundlage für einen weiterführenden Dialog. So stellt sich die Frage: Was kann uns auf der Suche nach der Wahrheit, auch nach der Wahrheit, die Jesus Christus ist, voranbringen?
Am Neujahrstag feiern wir sowohl die Beschneidung des Herrn als auch die Mutterschaft Marias, und alles unter dem Zeichen des Friedens. Am achten Tag nach der Geburt wird der jüdische Knabe beschnitten (vgl. Lk 2,21). So auch Jesus. Der alte Ritus besiegelt beim einzelnen Menschen den Bund mit Gott, den Bund des Friedens, den Bund mit Abraham, immer auch den Sinaibund. Gleichzeitig feiern wir an diesem Tag die Gottesmutterschaft Marias. Diese Mutterschaft besingt die Marianische Antiphon für die Advents- und Weihnachtszeit Alma Redemptoris Mater und hält gleichzeitig das außerordentliche Ereignis fest: „Erhabene Mutter des Erlösers, du allzeit offene Pforte des Himmels und Stern des Meeres! Komm dem Volk zu Hilfe, das (immerzu) fällt und (doch) wieder aufzustehen versucht. Du hast ja zum Staunen der Natur den Urheber deines Lebens geboren. Du, die da bist Jungfrau vor und nach (der Geburt). Aus Gabriels Mund hast du das Ave entgegen genommen. Erbarme dich der Sünder „. In diesem Gesang wird die immerwährende Jungfräulichkeit Marias betont: Jungfrau und Mutter; obwohl Mutter, dennoch Jungfrau; obwohl Jungfrau, dennoch Mutter; nicht Jungfrau nur in einem geistlichen oder geistigen Sinn; sondern Jungfrau auch dem Leibe nach, entsprechend der Darlegungen des heilige Paulus: Die Jungfrau ist heilig an Leib und Geist (vgl. 1 Kor 7,34).
Eben bei der Jungfräulichkeit Marias finden wir einen überraschenden Anknüpfungspunkt für den Dialog mit dem Islam. Denn für den Islam steht fest: Jesus wurde ohne Zutun eines Mannes aus der Jungfrau Maria geboren. Der Name der Mutter Jesu ist überdies der einzige weibliche Name im Koran. Weiter wird Maria auch als Vorbild für alle Gläubigen hingestellt. Ihre Keuschheit und ihre Jungfräulichkeit werden in keiner Weise in Zweifel gezogen. Sie ist ein göttliches Zeichen für alle Menschen in der Welt. So wird Maria eine wichtige Brücke zwischen dem Islam und dem christlichen Glauben. Die Reflexion über Maria, ihre Heiligkeit und ihre außerordentliche Mutterschaft kann Ausgangspunkt werden für Folgerungen  im Hinblick auf die Wahrheit über Jesus und die weiteren christliche Glaubensgeheimnisse.

Es drängt sich am Schluss dieser Überlegungen die Offenbarung der Gottesmutter in Fatima auf: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren …“ (dritte Erscheinung). Könnte dieses Wort auch für die Beziehung zwischen Islam und Christentum Bedeutung haben? Oder erinnern wir uns an eine Aussage des heiligen Maria Grignon von Montfort – hier auf den Dialog zwischen Islam und christlichem Glaube angewendet: „Könnten wir wohl … ohne äußere Verblendung an Maria vorübergehen, ohne uns ihr zu weihen und von ihr abhängig sein zu wollen, um zu Gott zu gelangen und uns Gott zu opfern“ (Von der Wahren Andacht zur allerseligsten Jungfrau Maria II,2,2). Wie auch immer! Die Wahrheit über Maria hat selbst im Islam eine wichtige Grundlage.