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Bistum Chur

Ansprache von Bischof Vitus Huonder am 22. Juni 2018 zum Abschluss des Studienjahres 2017/2018 an der Theologischen Hochschule Chur

Brüder und Schwestern im Herrn,

seit der Veröffentlichung des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens Amoris laetitia am 19. März 2016 erscheint immer wieder der Begriff der Begleitung. Der Seelsorger soll begleiten. Er soll die Menschen in den verschiedenen Situationen des Lebens begleiten. Das sei eine seiner wich­tigsten Aufgaben.
Mit der Begleitung einher geht die Unterscheidung und die Eingliederung. Die Lebenssituationen müssen unterschieden werden. Ziel der Begleitung und Unterscheidung ist sodann, dass die Menschen in die Gemeinschaft der Kirche eingegliedert werden. Unterscheidung und Eingliederung werden sozusagen integrale Bestandteile der Begleitung. So ist alles mit dem Begriff der Begleitung verknüpft. Deshalb müssen wir uns diesem Begriff eigens zuwenden.
Der Begriff der Begleitung bezieht sich im Zusammenhang von Amo­ris laetitia auf die Frage der Zerbrechlichkeit der Ehe und der Wiederverheiratung. Von dort her hat er sich auf weitere Fragen ausgeweitet. Ich nenne hier zwei aktuelle Bereiche. Es sind dies das Thema der Homo-Ehe („Ehe für alle“) und ­das Thema des assistierten Suizids.
Auf diesem Hintergrund möchte ich den Begriff der seelsorglichen Begleitung beleuchten. Dabei stellt sich die vordringliche Frage: Was ist der Sinn der seelsorglichen Begleitung? Der Sinn der seelsorglichen Begleitung ist das Leben in Chris­tus. Mit anderen Worten heißt das: Der Sinn der seelsorglichen Begleitung ist das Leben in Heiligkeit. Das gilt für jeden Menschen. Der Heilige Vater, Papst Franziskus, sagt es im Apostolischen Schrei­ben Gaudete et exultate in dieser Weise: Was ich jedoch mit diesem Schreiben in Erinnerung rufen möch­te, ist vor allem der Ruf zur Heiligkeit, den der Herr an jeden und jede von uns richtet, den Ruf, den er auch an dich richtet (10).
Das Leben in Christus, das Leben in Heiligkeit, hat immer zwei Ausprägungen: Die allgemeine Ausprägung, die für jeden Menschen gilt, nämlich das Leben in Einklang mit dem Willen Gottes, in Einklang mit der Schöpfungsordnung; alsdann die besondere Ausprägung, welche für die je eigene Berufung gilt. Jeder Mensch muss seine Berufung erkennen und dieser Berufung entsprechend leben. So ist es die Aufgabe und das Ziel der seelsorgliche Begleitung, den Menschen auf dem Weg des göttlichen Willens entsprechend der je eigenen Berufung des betreffenden Menschen zu führen und in der Heiligkeit zu fördern.
Der Weg des göttlichen Willens kommt im heutigen Evangelium in herausfordernder Weise zum Ausdruck. Der göttliche Wille zeichnet sich in der Person und in der Lehre des Herrn ab. Mit Blick auf dieses Evangelium können wir von der notwendigen Entscheidung des Menschen für Christus sprechen: Denn ich bin gekommen, um … zu entzweien (Mt 10,35), sagt der Herr. Wie ist dieses Wort zu verstehen? Der Entscheid für Christus ist eine Herausforderung für jeden Menschen.
Der Entscheid für Christus bringt daher eine Lagerbildung mit sich. Es gibt das Lager für ihn, es gibt das Lager gegen ihn. Wir können auch sagen: Angesichts der Wahrheit, die Christus ist, muss sich der einzelne Mensch entscheiden. Er muss sich für oder gegen ihn aussprechen: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Toch­ter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig“ (Mt 10,37­). So entscheidet sich alles an Christus.
Damit haben wir die eindeutige Grundlage für die seelsorgliche Begleitung. Der Seelsorger soll dem Menschen helfen, sich für Christus zu entscheiden. Sich für Christus entscheiden heißt, sein Leben auf Christus ausrichten und es im Sinne Christi gestalten. Das bedeutet, dass ein Seelsorger nie ein Ja sagen kann zu einer Lebensweise oder zu einer Entscheidung, welche gegen die Liebe Gottes, gegen die Liebe zum Sohn Gottes, Christus, gerichtet ist.
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass sich diese Liebe in der Befolgung der Gebote Gottes ausdrückt, das heißt auch im Respekt vor dem Schöpfer und der Schöpfungsordnung. Deshalb darf bei einer seelsorglichen Begleitung auch nie etwas Zweideutiges geschehen. Der Seelsorger darf nie in eine Sünde hinein begleiten. Er darf nie zu einer Sünde seine Zustimmung geben, nie eine Sünde segnen.
Im konkreten Fall der sogenannten Sterbebegleitung möch­te ich an mein Schreiben Humanes Sterben aus der Sicht des Glaubens vom 10. Dezember 2016 erinnern, vor allem an das Wort: Es ist … die schwe­re Pflic­ht des Priesters, in pastoraler Liebe Patienten von einem selbstzerstörerischen Vorhaben abzubringen, deren Trag­weite für das ewige Heil aufzuzeigen und zur Ergebenheit in Gottes Willen zu bewegen (S. 8). Besondere Bedeutung hat dieser Hinweis für die Spendung der Sakramente. Fehlt beim Gläubigen, auch bei einem Suizidwilligen, die Disposition (die innere Bereitschaft, die Sünden zu bereuen und sich von ihnen abzuwenden), ist die Spendung des entsprechenden Sakraments (Absolution, Krankensalbung, Kommunionempfang) nicht möglich. Es würde etwas vor­getäuscht, was nicht ist. Es würde ein Sakrileg begangen. In solchen Augenblicken ist das Gebet des Seelsorgers für die betreffende Person die einzige Möglichkeit der Begleitung. Eine ernsthafte und wahrhafte seelsorgliche Begleitung kann immer nur auf der Grundlage der pastoralen Liebe geschehen. Das ist eine Liebe im Hinblick auf das Seelenheil des Gläubigen, und daher eine Liebe zum Herrn und seinem Erlösungswerk, auch eine Liebe zur Wahrheit, welche in den Geboten Gottes ihren Ausdruck hat, eine Liebe, welche aus der Sünde heraushelfen will.
Diese Liebe wird heute in den Tagesheiligen John Fischer und Thomas Morus vor Augen geführt und bekommt seine Umrisse im Tagesgebet: Heiliger Gott, du hast die Glaubenstreue des Bischofs John Fisher und des Kanzlers Thomas Morus im Martyrium erprobt und zur Vollendung geführt. Höre auf ihre Fürsprache und hilf uns, den Glauben, den wir mit Worten bekennen, in den Prüfungen des Lebens zu bezeugen.