Navi Button
Bistum Chur

Genugtuung

Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), der Vereinigung der Höhern Ordensobern der Schweiz (VOS’USM) und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) betreffend die Ausrichtung von Genugtuungsbeiträgen an Opfer von verjährten sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld

Präambel
Am 30. Juni 2016 haben die SBK und die VOS’USM die Regelungen für die rechtlichen und finanziellen Grundlagen zur Ausrichtung von Genugtuungsbeiträgen an Opfer verjährter sexueller Übergriffe im kirchlichen Umfeld in Kraft gesetzt, deren Ansprüche wegen staatlicher und kirchlicher Verjährung rechtlich nicht mehr durchsetzbar sind. Die Richtlinien wurden für eine Geltungsdauer von fünf Jahren verabschiedet.
In den vergangenen fünf Jahren konnten Genugtuungsbeiträge an rund 140 Opfer ausgerichtet werden. Ihre Leidensgeschichten lassen erkennen, dass Menschen, welche im kirchlichen Umfeld Opfer von sexuellen Übergriffen, Gewissensmanipulation und Machtmissbrauch geworden sind, oft viele Jahre brauchen, um über die erlittene Traumatisierung sprechen zu können. Deshalb erweist sich das Weiterbestehen des Genugtuungsfonds als not-wendig.

Für das kirchliche Leben in der Schweiz tragen nicht nur die kanonischen Leitungsinstanzen Verantwortung, sondern auch die staatskirchenrechtlichen Körperschaften. Demzufolge ist es angebracht, dass die zweite Auflage der Richtlinien auch von der RKZ mit erlassen wird, zumal sie bereits in die Vereinbarung von 2016 eingebunden war und die Anpassung der Richtlinien gemäss Art. 2 Abs. 1 dieser Vereinbarung der Zustimmung aller drei Partner bedarf.

 

  1. Geltungsbereich und Zweck
    Diese Richtlinien regeln die Ausrichtung von Genugtuungsbeiträgen an Opfer von – nach staatlichem und kirchlichem Recht verjährten, einem formellen Verfahren nicht mehr zugänglichen – sexuellen Übergriffen, welche im kirchlichen Umfeld verübt wurden. Die Genugtuungsbeiträge sollen nach einheitlichen Kriterien für die ganze Schweiz erfolgen. Mit der Ausrichtung eines Genugtuungsbeitrages nimmt die Katholische Kirche der Schweiz ihre Verantwortung gegenüber den Opfern wahr, im Bewusstsein, dass es sich dabei um Gesten, nicht um Wiedergutmachung handelt, weil Geld den zugefügten Schaden und die erlittenen Nöte nicht beseitigen kann.
  2. Opfer / Beschuldigte
    2.1 Opfer verjährter sexueller Übergriffe
    Personen, die Opfer sexueller Übergriffe geworden sind, welche von Beschuldigten gemäss Ziff. 2.2. nachstehend verübt wurden, deren Ansprüche nach den Rechtsordnungen von Kirche und Staat verjährt sind, können einen Genugtuungsbeitrag erhalten. Die Zahlung erfolgt subsidiär, das heisst nachrangig gegenüber Leistungen, welche dem Opfer im Zusammenhang
    mit dem gleichen Sachverhalt bereits anderweitig (z.B. aufgrund gerichtlicher Entscheidungen, dank staatlicher Opferhilfe oder durch eine kirchliche Instanz) ausgerichtet bzw. verbindlich zugesagt wurden. In Härtefällen können als Ausnahme auch an Personen, welche die vorstehenden Bedingungen nicht erfüllen, Leistungen gemäss Ziff. 5 erbracht werden.

    2.2 Beschuldigte
    Beschuldigte können sein
    • Seelsorgende,
    • Ordensangehörige,
    • kirchliche Mitarbeitende,
    • im kirchlichen Umfeld freiwillig Tätige,
    • Mitglieder staatskirchenrechtlicher Organe
    und
    • kirchliche Angestellte.

  3. Kommission Genugtuung für Opfer von verjährten sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld der Schweizer Bischofskonferenz, der Vereinigung der Höhern Ordensobern der Schweiz und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz zur Beurteilung der Anträge
    Die Schweizerische Bischofkonferenz (SBK), die Vereinigung der Höhern Ordensobern der Schweiz (VOS’USM) und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) setzen die Kommission Genugtuung für Opfer von verjährten sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld (Kommission Genugtuung) ein.

    3.1 Aufgaben
    3.1.1 Die Kommission Genugtuung prüft alle von einem diözesanen Fachgremium, von der CECAR, von einer staatlich anerkannten Opferhilfestelle oder einer gleichwertigen Instanz schriftlich eingereichten Anträge und entscheidet, ob dem Opfer eine Genugtuungszahlung auszurichten sei.
    3.1.2 Die Kommission Genugtuung stellt den kurz begründeten Entscheid dem antragstellenden Gremium zu.
    3.1.3 Bei einem positiven Entscheid veranlasst die Kommission Genugtuung die Auszahlung an das Opfer.
    3.1.4 Der Entscheid der Kommission Genugtuung ist abschliessend. Ein Rekurs an eine höhere kirchliche oder staatskirchenrechtliche Instanz ist ausgeschlossen.
    3.1.5 Die Präsidentin/der Präsident der Kommission Genugtuung pflegt einen regelmässigen Austausch mit der SBK, VOS’USM und RKZ. Dabei sind insbesondere die Situation des Genugtuungsfonds und der voraussichtliche Zeitpunkt einer allfälligen Nachalimentierung zu thematisieren.
    3.1.6 Die Kommission Genugtuung verfasst jährlich einen Bericht und eine Statistik zuhanden der SBK, der VOS’USM und der RKZ.
    3.1.7 Die Mitglieder der Kommission Genugtuung unterstehen der Schweigepflicht.
    3.1.8 Die Kommission Genugtuung gibt sich ein Geschäftsreglement.

    3.2 Zusammensetzung
    3.2.1 Die Kommission Genugtuung besteht aus höchstens sieben Mitgliedern. Diese werden vom Fachgremium Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld der SBK vorgeschlagen und durch die SBK nach Rücksprache mit VOS’USM und RKZ ernannt und eingesetzt.
    3.2.2 Der Kommission Genugtuung gehören so weit möglich qualifizierte und erfahrene Fachpersonen für Missbrauchsfälle an (z.B. Psychologe/Psychologin, Arzt/Ärztin, Jurist/Juristin, Mitarbeiter/Mitarbeiterin einer anerkannten Opferhilfestelle, Täter-/ Opfer-Therapeut/Therapeutin etc.).
    Die Mitglieder der Kommission Genugtuung handeln autonom und unabhängig von den ernennenden Instanzen.

    4. Fonds für Genugtuungsleistungen
    4.1 Es besteht ein von der SBK, der VOS’USM und der RKZ errichteter Fonds zu Gunsten von Opfern sexueller Übergriffe.
    4.2 Der Fonds wird durch Beiträge der Schweizer Diözesen, der VOS’USM und der RKZ geäufnet sowie durch Zuwendungen von Privatpersonen, privaten und öffentlichen Institutionen zusätzlich gespeist.
    4.3 Die Verwaltung des Fonds wird einer anerkannten Institution der Schweiz in Form eines autonomen Fonds anvertraut.
    4.4 Die SBK, VOS’USM und RKZ schliessen mit dieser Institution eine entsprechende Vereinbarung ab, die insbesondere die Essentialia betreffend die Handhabung des Fonds beinhaltet.
    4.5 Aus dem Fonds werden
    • Genugtuungsbeiträge ausgerichtet;
    • Spesen und Entschädigungen der Mitglieder der Kommission Genugtuung vergütet;
    • Auslagen für die Verwaltung des Genugtuungsfonds und für das Sekretariat der
    Kommission Genugtuung beglichen.

    5. Genugtuung
    5.1 Opfer, die in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sind, erhalten einen Genugtuungsbeitrag in der Höhe von höchstens CHF 20’000. Es handelt sich um einen einmaligen und pauschalen Beitrag.
    5.2 Die Kommission Genugtuung legt den Pauschalbeitrag in Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände fest: Namentlich der gesundheitlichen, familiären, beruflichen und sozialen Folgen der erlittenen Übergriffe im Leben des Opfers und erst sekundär der Schwere der erlittenen sexualisierten Gewalt. Dabei werden gemäss 2.1. auch allfällige anderweitig bereits erbrachte Leistungen berücksichtigt.

    6. Verfahren zur Auszahlung einer Genugtuung
    6.1 Das für die Entgegennahme einer Opfermeldung zuständige gemäss Ziffer 3.1.1 Gremium klärt den Sachverhalt ab. Gelangt dieses zur Überzeugung, dass die Voraussetzungen gemäss Ziff. 1 und 2 erfüllt sind, stellt es ein begründetes Gesuch auf Ausrichtung eines Genugtuungsbeitrages an die Kommission Genugtuung.
    6.2 Das Opfer verpflichtet sich, sich im Hinblick auf den Antrag auf Genugtuung am Verfahren aktiv zu beteiligen (z.B. Aussagen protokollieren zu lassen, Dokumente einzureichen, von beruflicher Schweigepflicht zu entbinden usw.).
    6.3 Die Kommission Genugtuung prüft den Antrag. Sie entscheidet abschliessend und stellt ihren Entscheid dem antragstellenden Gremium zu.
    6.4 Das antragstellende Gremium informiert das Opfer.
    6.5 Die Kommission Genugtuung veranlasst die Auszahlung des Genugtuungsbeitrages an das Opfer.
    6.6 Wo immer möglich, ist für die geleistete Genugtuungszahlung durch das antragstellende Gremium auf die Beschuldigten Regress zunehmen. Die Zahlung der Beschuldigten aus dem Regress fliesst in den Genugtuungsfonds ein.

    7. Schlussbestimmungen
    7.1 Diese Richtlinien wurden von der SBK am 2.3.2021, von der VOS’USM am 5.2.2021 und von der RKZ am 19.3.2021 approbiert.
    7.2 Sie treten am 1. Juli 2021 in Kraft.
    7.3 Änderungen oder Ergänzungen dieser Richtlinien bedürfen der schriftlichen Zustimmung von SBK, VOS’USM und RKZ.
    7.4 Die Richtlinien gelten wiederum für eine Dauer von fünf Jahren, d.h. bis zum 30. Juni 2026.
    7.5 Im Bedarfsfall können sie jeweils für weitere fünf Jahre verlängert werden.

    Fribourg, den 11. Juni 2021

    Bischof Felix Gmür
    Präsident der SBK

    Erwin Tanner
    Generalsekretär der SBK

    Fribourg, den 16. Juni 2021

    Abt Peter von Sury OSB
    Präsident der VOS’USM

    Zürich, den 11. Juni 2021

    Renata Asal-Steger
    Präsidentin der RKZ

    Daniel Kosch
    Generalsekretär der RKZ

 

Richtlinien der SBK und der Vereinigung der Höhern Ordensobern der Schweiz betreffend die Ausrichtung von Genugtuungsbeiträgen an Opfer von verjährten sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld

https://www.bischoefe.ch/richtlinien-der-sbk-und-vosusm-genugtuungsbeitraegen-an-opfer-2016/