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Bistum Chur

Predigt von Bischof Peter Bürcher, Apostolischer Administrator des Bistums Chur, anlässlich der Beerdigung von Bischof Amédée Grab OSB, Kathedrale Chur, Montag 27. Mai 2019

Lesung: Röm 11,33-36
Evangelium: Joh 14,1-6

«Wie unergründlich sind Gottes Entscheidungen! Wie unerforschlich seine Wege!» (Röm 11,33).

In der Tat: Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich einmal an der Spitze des Bistums Chur stehend, meinen lieben Mitbruder Amédée zu Grabe tragen würde! Wir waren gleichzeitig Weihbischöfe im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg. Er war dann in Freiburg mein Diözesanbischof. Er hat Bischof Vitus Huonder zum Bischof von Chur geweiht. Und nun stehe ich mit Ihnen allen hier Anwesenden vor seinem Sarg.

Die Wege Gottes sind unerforschlich, auch wenn wir auf das Leben von Bischof Amédée schauen. So viele Stationen, so viel Unvorhergesehenes! In Zürich geboren, Bürger von Schwyz, in Genf aufgewachsen, Mönch des Klosters Einsiedeln, Lehrer im Collegio Papio in Ascona im Tessin, Weihbischof in Genf, Bischof von Lausanne-Genf-Freiburg, Bischof von Chur, emeritierter Bischof zuletzt in Roveredo.

So viele Wege, so viele Stationen. Und doch war Bischof Amédée in seinem Herzen Benediktiner. In seiner Regel zählt der Hl. Benedikt im 4. Kapitel auf, «mit was für Instrumenten das Gute getan wird». Es sind 74 Instrumente, darunter die 10 Gebote und Weisungen wie: sich selbst verleugnen, um Christus nachzufolgen; den Armen helfen; nie das Böse mit dem Bösen vergelten; und vieles mehr. Zuletzt heisst es zu diesen Instrumenten, um das Gute zu tun: «Die Werkstatt aber, in der wir all dieser Arbeit eifrig obliegen, ist die Abgeschlossenheit des Klosters, mit der Beständigkeit in der Gemeinschaft» (V. 78).

Dieser Beständigkeit, der stabilitas, hat sich Bischof Amédée als Benediktiner verschrieben. Aber die Wege des Herrn sind eben unerforschlich! Und so haben immer wieder andere Menschen über sein Leben und seine Wege bestimmt. Deshalb müssen wir in seinem Fall den Begriff «Stabilität im Kloster» ziemlich weit definieren. Sein Kloster war grösser als die Schweiz! Es war eher Europa. Und wer Bischof Amédée gekannt hat, der weiss, dass er in diesem sehr weit gesteckten Kloster in einer guten Art und Weise weltläufig wurde. So ist es denn auch hier in der Kathedrale, auf der Kathedra, also dem Sitz des Bischofs, eingraviert: «Verkündigt das Evangelium!». Denn Bischof Amédée wollte als Bote des Glaubens bis an die geographischen und existentiellen Grenzen gehen. Er kannte unseren Herrn Jesus Christus. Aber er kannte auch die Welt. Und er wusste, sich darin zu bewegen. Und so verachtete er auch nicht die Werke der Schöpfung, in fester, flüssiger und flüchtiger Form. Das gab ihm die Fähigkeit, geerdet zu sein, zu wissen, wie es in der Welt zugeht. Und es hat ihn befähigt, in dieser Welt umso wirksamer das Evangelium zu verkünden.

Bischof Amédée ist in seinem Leben weit gereist. Und doch ist er als Wandermönch ein Benediktiner geblieben. Er hat gelebt, was der hl. Benedikt im 7. Kapitel seiner Regel schreibt: Die Demut lebt, «wer auch bei widrigen Aufträgen und selbst bei jedem zugefügten Unrecht den Gehorsam übt, dabei schweigen kann und bewusst die Geduld bewahrt. Er erträgt alles, ohne müde zu werden und davonzulaufen» (V. 35-36). Stabilitas war für Bischof Amédée örtlich nicht möglich. Aber geistlich hat er die Stabilitas, die Beständigkeit, gelebt. Er hat nie seine Wurzeln vergessen oder verleugnet. Er hat nie die Orientierung verloren. Und so danken wir ihm am heutigen Tag für sein lebenslanges Zeugnis, für das Übernehmen so vieler angenehmer und weniger angenehmer Aufträge.

Der unerwartete Tod von Bischof Amédée fällt im Bistum Chur in eine besondere Stunde. Und sein Tod sollte uns, wie der Tod jedes Menschen, helfen, uns wieder neu auf das Wesentliche zu besinnen: auf Jesus Christus: der Weg, die Wahrheit und das Leben, wie wir im heutigen Evangelium gehört haben (Joh 14,6). Der Schriftsteller Tertullian hat im 3. Jahrhundert, auf diese Titel Jesu anspielend, gesagt: «Christus hat sich die Wahrheit genannt, nicht die Gewohnheit”. Ich glaube, dass dieses Wort heute in dieser Stunde eine besondere Bedeutung hat. Nur in Christus, in der Wahrheit, sind wir eins. Es sind unsere Gewohnheiten, unsere oft beschränkte oder einseitige Sicht auf die Kirche, auf den Glauben und auf die Welt, die uns von einander trennen. Nur in Christus, der Wahrheit, so wie die Kirche ihn uns verkündet, sind wir eins. Deshalb bedarf es immer wieder der Bekehrung von der Gewohnheit hin zur Wahrheit, damit wir eins sind, eins bleiben oder wieder eins werden. Und dazu bedarf es von allen der Verfügbarkeit zum manchmal unerforschlichen Willen Gottes, wie sie uns Bischof Amédée vorgelebt hat. Ich finde das, worum es hier geht, wunderbar ausgedrückt in einem Gebet von Charles de Foucault, der gebetet hat:

«Mein Vater, ich überlasse mich dir, mach mit mir, was dir gefällt.
Was du auch mit mir tun magst, ich danke dir.
Zu allem bin ich bereit, alles nehme ich an.
Wenn nur dein Wille sich an mir erfüllt und an allen deinen Geschöpfen,
so ersehne ich weiter nichts, mein Gott.
In deine Hände lege ich meine Seele.
Ich gebe sie dir, mein Gott, mit der ganzen Liebe meines Herzens,
weil ich dich liebe, und weil diese Liebe mich treibt,
mich dir hinzugeben, mich in deine Hände zu legen,
ohne Maß, mit einem grenzenlosen Vertrauen.
Denn du bist mein Vater».

Liebe Brüder und Schwestern! Ich bin überzeugt: Wenn wir alle, jede und jeder von uns, aus ganzem Herzen dieses Gebet beten können, dann gibt es keine unüberwindlichen Hindernisse zwischen uns. Wenn wir uns immer wieder von der Gewohnheit zur Wahrheit bekehren, kann Einheit wachsen. Sie ist nicht Frucht von Kompromissen oder Verträgen. Die Einheit wird nicht durch Schlauheit oder Intrige hergestellt. Sondern sie ist Frucht der Bekehrung zu Christus, der Wahrheit. Denn Christus ist unser Friede.

Am Schluss des Vorworts seiner Regel sagt der Hl. Benedikt: «So wollen wir die Schule dieses Meisters [Jesus Christus] nie verlassen, sondern im Kloster bis zum Tod in seiner Lehre verharren und in Geduld am Leiden Christi teilnehmen, damit auch wir verdienen, an seinem Reiche teilzuhaben» (V. 50). Bischof Amédée Grab ging ein Leben lang in die Schule seines Meisters, auch ausserhalb der Mauern des Klosters. Er hat diese Schule nie verlassen und ist beharrlich geblieben. Er hat ausgeharrt bis zum Tod, zuletzt in einem bescheidenen Zimmer in der Casa di Cura Immacolata in Roveredo. Er hat in Geduld an den Leiden Christi teilgenommen. In seinem Sarg trägt er jetzt auf der Brust das Kreuz unseres Erlösers und in seinen Händen den Rosenkranz. Darum hat er nun verdient, am Reich Christi teilzuhaben. Und so empfehlen wir ihn dem allmächtigen und barmherzigen Gott, der ihn und uns alle innig liebt.

Lieber Bischof Amédée, danke für Deinen lebenslangen Dienst und für Dein Zeugnis der Verfügbarkeit auf all Deinen Wegen! Ruhe in Frieden! Dein neues Kloster sei nun der Himmel! Amen.