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Bistum Chur

Bischof Bonnemains Rede anlässlich der Präsentation des Berichtes zum Pilotprojekt

Medienkonferenz vom 12. September 2023 an der Universität Zürich
Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

 

 

 

 

Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs
in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich wende mich zuerst an die Mitglieder der Organisationen der Betroffenen, sowie an alle Menschen, die in den vergangenen 70 Jahren im kirchlichen Umfeld Opfer von Manipulation, Missbrauch und Gewalt geworden sind. Jedem und jeder einzelnen von Ihnen wurde im Laufe Ihres Lebens durch kirchliche Angestellte, insbesondere durch Priester und Ordensleute grosses Leid zugefügt. Diese haben Ihr Vertrauen, oft auch das Vertrauen Ihrer Eltern, schamlos ausgenutzt. Sie haben die eigene religiöse und gesellschaftliche Stellung ausgenutzt.

Die Mischung aus psychischer und religiöser Manipulation sowie spirituellem Missbrauch ist typisch für das Vorgehen von Tätern in kirchlichem Kontext. Die Verantwortung all jener, welche die Täter geschützt und die Taten vertuscht haben, wiegt sehr schwer.

Kirchliche Führungspersonen haben es zugelassen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sich in der Kirche engagierten, die bei der Kirche Heimat und Schutz suchten, Sexualstraftätern ausgeliefert waren. Selbst verurteilte Personen wurden geschützt und versetzt. Andere wurden dem Zugriff der Justiz entzogen. Verbrechen wurden bagatellisiert. Oft unter dem Deckmantel der Religion vertuscht. Damit haben die jeweiligen Verantwortungsträger in Kauf genommen, dass die Täter und Täterinnen weiter Gewalt ausüben konnten und weitere Minderjährige und Erwachsene Opfer von Sexualdelikten wurden. Eine Kultur des Schweigens trug zur Vertuschung bei.

Trotz verschiedener Bemühungen und Initiativen in den letzten Jahren, haben die verantwortlichen Institutionen der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz lange gezögert, sich dem Thema gemeinsam zu stellen. Jahrzehntelang wurde jeder Missbrauch als Einzelfall betrachtet. Der kritische Blick auf das System wurde vermieden. Es fällt schwer, einzugestehen, dass falsch verstandene Grundzüge der katholischen Kirche den sexuellen Missbrauch ermöglicht und begünstigt haben.

Vor allem die Verantwortlichen in den Bistümern und Ordensgemeinschaften sind gefordert, systemische Probleme anzugehen und sich den damit verbundenen Fragen zu stellen. Dazu gehören die besonderen Machtkonstellationen in der Kirche, der Umgang mit Sexualität, das Priester- und auch das Frauenbild. Die Ausbildungs- und Personalpolitik müssen unbedingt verbessert werden. Das Amtsverständnis der geweihten Amtsträger sowie die Aufsichts- und Führungsverantwortung in Bistümern, Ordensgemeinschaften und staatskirchenrechtlichen Behörden bedürfen der Korrektur und der Weiterentwicklung.

Das Pilotprojekt zeigt, wie viel Arbeit noch ansteht. SBK, RKZ und KOVOS haben auf nationaler Ebene weitere Massnahmen beschlossen, um institutionelle Mängel anzugehen:

  1. Neue Meldestrukturen: Für Betroffene sollen schweizweit professionelle Angebote geschaffen werden bei denen sie Missbräuche melden können: In den kommenden Monaten werden dafür verschiedene Modelle unabhängiger Meldestellen geprüft und danach deren Realisierung angegangen.
  2. Verschärfte Kontrollen bei der Auswahl von zukünftigen, kirchlichen Angestellten: Es wird gesamtschweizerisch eine standardisierte, psychologische Prüfung für alle Interessierte an einer Ausbildung im kirchlichen Dienst eingeführt. Dasselbe gilt für Menschen, die sich für das Ordensleben berufen fühlen.
  3. Das Personalwesen wird professionalisiert: Für die Führung von Personaldossiers und die Weitergabe von relevanten Informationen über kirchliche Mitarbeitende werden Mindeststandards gemäss den geltenden Datenschutzgesetzen eingeführt. Diese richten sich an alle kirchlichen Anstellungsträger.
  4. Aktenvernichtung wird unterbunden: In einer schriftlichen Selbstverpflichtung erklären alle kirchlichen Verantwortlichen an der Spitze von Bistümern, Landeskirchen und Ordensgemeinschaften, keine Akten zu vernichten, die im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen stehen oder den Umgang damit dokumentieren. Das bedeutet auch, dass die kirchenrechtliche Vorschrift, regelmässig Akten aus Archiven und Geheimarchiven zu vernichten (can. 489 § 2 CIC) für solche Akten nicht mehr angewendet wird.

Der Bericht zum Pilotprojekt konfrontiert uns mit dem Ausmass der Taten und dem Leid der Betroffenen. Als kirchliche Institutionen tragen wir eine grosse Mitverantwortung dafür, dass so viele Menschen im kirchlichen Umfeld Opfer von Verbrechen wurden. Die Täter sind verantwortlich und die Vertuscher mitverantwortlich, dass Betroffene oft lebenslang unter den Folgen zu leiden haben – für sich, in ihrer Beziehungsfähigkeit, in ihrer privaten und beruflichen Entwicklung, in ihrem Vertrauen in Gott, ins Leben. Dafür können wir uns, als Vertreter dieser Kirche, nicht einfach entschuldigen. Vielmehr müssen wir mit dieser Schuld leben und Verantwortung übernehmen. Das bedeutet, alles Menschenmögliche zu unternehmen, um die Risiken für Missbräuche zu minimieren und deren Vertuschung künftig zu unterbinden.

Alle heute in der Kirche Tätigen stehen in der Verantwortung. Wir müssen uns für einen nachhaltigen Kulturwandel einsetzen und die verschiedenen Präventionsmassnahem aktiv mittragen und umsetzen. Wir sind dankbar, dass die Universität Zürich bereit ist, ihre Forschung fortzusetzen. Die vertiefte Untersuchung der spezifischen Ursachen und Mechanismen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Umfeld wird uns dabei unterstützen, den nötigen Kulturwandel voranzutreiben. Die kommende Generation hat das Recht, auf eine geläuterte Kirche. Nur eine gewaltfreie Kirche hat eine Daseinsberechtigung.

 

Bischof Joseph Bonnemain
Ressortverantwortlicher der Schweizer Bischofskonferenz

Dirk Firschknecht,
Fotograf Bistum Chur