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Bistum Chur

Bischof Joseph Marias Predigt zu Pfingsten

Liebe Schwestern und Brüder

Die Menschenmenge, die zu den Aposteln hinströmte, als der Heilige Geist sich auf diese niederliess, waren – heisst es – fassungslos vor Staunen. Sie sagten: „Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder in seiner Muttersprache hören.“

Es war nicht so, dass die Apostel gesagt hätten: wir sprechen im Namen und Auftrag Gottes, wir haben Wichtiges mitzuteilen, deswegen solltet ihr euch bemühen und anstrengen, uns gut zu verstehen. Wir sprechen in unserer Sprache und ihr müsst einen Übersetzer organisieren. Schliesslich sind wir die Verkündigenden, ihr müsst euch uns anpassen. An Pfingsten zeigte Gott eine ganz andere Haltung. Getragen vom Heiligen Geist, erfüllt vom Heiligen Geist, verwandelt vom Heiligen Geist, waren die Apostel diejenigen, die sich den Menschen anpassten. Der Heilige Geist macht möglich, dass wir uns öffnen, dass wir auf die anderen zugehen, ihnen entgegengehen, dass wir – mit den Worten des hl. Paulus – allen alles zu werden versuchen. Der Heilige Geist fördert die Verständigung, die Kommunikation, die Eintracht. Er wird uns nie beistehen, damit wir uns verschliessen, damit wir uns selbst bewundern, damit wir unsere Ansprüche den anderen gegenüber erhöhen. Als Christen haben wir einen klaren Lebensauftrag bekommen: Fusswäscher und Fusswäscherinnen der anderen zu sein – basta.

Für diese Aufgabe dürfen wir mit dem Beistand Gottes, mit seiner Erleuchtung, mit seiner Unterstützung grenzenlos rechnen. Er wird uns immer einflüstern, wie sich unsere demütige Dienstbereitschaft entfalten kann. Er ist die Souffleuse, der Souffleur – wie Sie wollen – damit wir, wie Christus, Dienerinnen und Diener der anderen werden. Heutzutage sind die Souffleure praktisch verborgen in einer diskreten Muschel am vorderen Rand der Bühne gut versteckt. Von dort aus konnten sie früher ganz unbemerkt den Akteuren die Worte ihrer Rolle zuflüstern, wenn diese in Schwierigkeiten gerieten. Heute geht es anders: haben Sie nicht schon während der Tagesschau manchmal erlebt, dass der gewandte Sprecher oder die Sprecherin plötzlich zögert, unsicher wird und erklärt: die Regie sagt mir, dass der Beitrag aus Brüssel noch nicht empfangen werden kann. Wie funktioniert das? Haben Sie nicht bemerkt, dass diese Sprecher, wie auch alle Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, einen fast unsichtbaren, ganz kleinen Hörer am Ohr tragen? Sie singen, aber gleichzeitig sind sie über das Ohr mit der ganzen Regie verbunden, haben die komplexe Situation der Vorstellung unter Kontrolle. Der Heilige Geist ist viel mehr als das. Der Heilige Geist ist ein göttlicher Hörer im Herzen, den wir ständig mit uns tragen können, der uns liebevoll unsere richtige Rolle zuflüstert, wenn wir nicht mehr sicher sind. Die beste elektronische Anlage aber, die raffiniertesten Mikrohörer nützen überhaupt nichts, wenn die Anlage ausgeschaltet oder die Verbindung unterbrochen ist.

Im Herrn Geliebte, manchmal schalten wir die göttliche Anlage aus, wollen nicht empfänglich für Gott sein, sondern stur unsere eigenen Wege gehen, um der Selbstverliebtheit zu frönen.

Der Heilige Geist ist die göttliche Kraft, ist der göttliche Beistand für ein grenzenloses Aufeinander-Zugehen, für eine liebevolle Anpassung an die Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse der anderen. Eigentlich ist es ganz logisch: der Heilige Geist setzt das Werk Christi auf Erden fort. Im Wesentlichen ist die Menschwerdung die radikalste Art Gottes, sich den Menschen anzupassen.

Wir sind gewohnt, dass, wenn eine wichtige Person, unser Chef, etwas von uns erwartet, er uns zu sich bestellt. Ja, das ist normal. Ich kann mich noch ganz gut erinnern: als ich vor bald 37 Jahren in einem Spital in Zürich als Seelsorger zu wirken begann, rief die Sekretärin vom ärztlichen Direktor an und erklärte mir: der Chef will, dass Sie sofort zu ihm kommen! Ich zitterte: was wird wohl los sein? Als ich dort ankam, musste ich noch lange im Vorzimmer warten. So läuft es eben hier auf Erden. Bei Gott ist es anders. Er ist zu uns gekommen, er hat sich angepasst. Er will mit uns und in uns sein und leider muss er oft lange im Vorzimmer warten, bis wir ihm Aufmerksamkeit schenken, für ihn die Tür unseres Herzens öffnen. Und er wartet und wartet, er gibt nie auf. Das ist die Art der Verliebten.

Im Herzen Gottes sind wir immer zu Hause. Er ist zu uns gekommen und ist endgültig bei uns geblieben und der Heilige Geist ist der letzte radikalste Schritt dieser göttlichen Haltung. Er ist der, der sich uns stets anpasst, der uns unermüdlich sucht, der nie aufhört, liebend am Tor unseres Herzens anzuklopfen, der ganz bescheiden im Schatten unseres Ohres den Dienst der Einflüsterung wahrnimmt. Ja, liebe Schwestern und Brüder, das ist die tröstende Realität: nicht wir sind die grossen Anklopfer am himmlischen Tor, sondern Gott ist der liebende Anklopfer am Tor der Menschenherzen. Ich frage nochmals: lassen wir die Anlage immer eingeschaltet? Bleiben wir immer auf Empfang?

Papst Franziskus spricht sehr oft und gern vom Sieg über die Autoreferenzialità. Es geht um die Überwindung der Selbstbezogenheit, der fixierten Selbstzentriertheit. Und Gott ist hier das grosse Beispiel. Er ist ein Gott, der für die Menschen kein Gott mehr sein wollte, der sich anpasst, der nicht an sich selbst denkt, der für immer verrückt ist.

Passen wir uns den anderen, ihren Bedürfnissen, ihren Erwartungen an? Rücken wir von unserer Mitte weg? Wollen wir über unsere Selbstbezogenheit siegen?

Wie wir in der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Christengemeinde in Korinth gehört haben, schenkt der Heilige Geist verschiedene Fähigkeiten und Gnadengaben, richtet vielfältige Dienste ein, vermittelt uns viele Kräfte, damit wir uns gegenseitig ergänzen. Wir alle zusammen bilden eine geschwisterliche Gemeinschaft. Im Himmel – wenn ich es so zum Ausdruck bringen darf – gibt es keinen Platz für in sich verschlossene Einzelgänger. Es ist zu wenig, die anderen nur zu dulden, es ist zu wenig, für Kompromisse bereit zu sein im Sinne, dass wir bloss für den eigenen Vorteil die Schwäche der anderen ertragen. Es ist zu wenig, tolerant zu sein, wenn wir lediglich die Art der anderen nicht bekämpfen, diese aber nicht als lehrreich für uns betrachten. Die anderen sollten für uns immer einen Reichtum darstellen. Wir sollten jeden Menschen als etwas Kostbares betrachten. Sich mit den anderen einfach nur abzufinden oder mit Gleichgültigkeit zu reagieren, ist zu wenig. Die geläufige Aussage: leben und leben lassen, ist zu billig. Erst wenn wir verstehen, dass die anderen, so wie wir, erfüllt und entflammt durch die Liebe Gottes sind, begreifen wir, dass wir nur die Liebe des Heiligen Geistes erhalten können, wenn wir diese durch den Umgang und dank des Umgangs mit den anderen entdecken können. Nur mit den anderen, in den anderen und durch die anderen erfahren wir, dass die Liebe eine leuchtende Flamme Gottes in unserem Herzen ist.

Erlauben Sie mir, dass ich am Schluss auch etwas über das heutige Evangelium sage. Jesus hauchte die Jünger an und sagte zu ihnen: «Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten». Der Heilige Geist schenkt uns die Fähigkeit, vergeben zu können. Wenn wir etwas nachtragen, unser Beleidigt-Sein aufrechterhalten, uns weiterhin «verschnupft» zeigen, können wir sicher sein, dass wir den Heiligen Geist nicht empfangen haben. Er gibt das Feuer der Liebe, damit wir uns gegenseitig unterstützen, damit wir mit allen auskommen, nur so tragen wir den Frieden Christi weiter und werden eine wirksame Quelle des Friedens für die Welt. Amen

Kathedrale Chur, 5. Juni 2022