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Bistum Chur

Gottesdienst für Brienz mit Bischof Joseph Maria

Liebe Brienzerinnen und Brienzer, liebe Schwestern und Brüder

«Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch». Dieses Versprechen Jesu aus dem heutigen Evangelium finde ich besonders angebracht im Zusammenhang mit der jetzigen Situation in Brienz, die uns heute hier im Gebet versammelt.

In jeder Situation, auch in den ganz dramatischen, lässt uns Gott nicht im Stich, nicht allein, er lässt uns nicht als Waisen, ohne Halt, ohne Nähe, ohne Lösung zurück. Gott lässt uns Menschen nie im Stich, selbst dann, wenn wir das krasse Gefühl haben, dass das der Fall ist. Heute bin ich hier, weil es mir ein Herzensanliegen ist, irgendwie sichtbar zu machen, dass diese Glaubensgewissheit nicht eine Floskel ist. Im Leben haben wir oft viele Fragen, unbeantwortete Fragen. Wir fragen uns oft, warum, weswegen, warum trifft das gerade mich? Warum das Leiden, die Naturkatastrophen, die Kriege? Wir erahnen nur manchmal leise, dass trotz all dem, Gott uns nahe bleibt.

Oft kommt mir der Vorwurf von Marta und Maria in den Sinn, den Schwestern von Lazarus, als dieser starb und Jesus sozusagen zu spät kam. Sie warfen Jesus vor: «Herr wärest du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben». Ist es nicht so, im Herrn Geliebte, dass wir manchmal Gott sagen: warum bist du nicht da gewesen, ausgerechnet dann, als ich deine Hilfe am meisten gebraucht hätte? Warum bist du nicht da bei uns und verhinderst, dass der Berg über unsere Köpfe stürzt? Seien wir gewiss: der Herr bleibt immer bei uns, er ist immer da, er kommt nie zu spät. Wie damals – beim Tod von Lazarus – bleibt seine Wirkkraft intakt. Er kann sozusagen die Geschichte neu schreiben, sogar rückwärts; dem, was schon geschehen ist, eine andere Bedeutung geben.

Die Art des Heilands, Heilung und Trost zu spenden, die Ereignisse neu zu schreiben, hat mit Zaubertricks nichts zu tun. Sein Einwirken geschieht oft nicht durch Wunder, sondern durch die Bereitschaft, die dramatischen Situationen unseres Lebens mitzutragen, gerade in solchen Situationen mit uns eins zu werden. Um das Leid und den Tod zu besiegen, ist er selber gestorben, hat er das Leben hingegeben. Dies ist das Geheimnis von Ostern und Pfingsten. Er steht uns immer nahe. Der Heilige Geist ist Gott in uns, weil Jesus nicht gezögert hat, uns durch den Abgrund seiner Kreuzigung hindurch seine Liebe zu schenken.

Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube nicht, dass wir hier sind, um an erster Stelle ein Wunder von Gott zu verlangen. Wir sind hier, um – wie wir in der zweiten Lesung gehört haben – unsere Hoffnung zum Ausdruck zu bringen. Es heisst im Petrusbrief: «Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt». Wir wollen die Hoffnung in unseren Herzen aufrecht halten, die Hoffnung bekräftigen. Auch wenn die Lage menschlich gesehen sehr prekär und beängstigend aussieht, kann aus all dem Gutes hervorkommen. Nach der Überwindung der jetzigen Krise können Sie alle als Erfahrene, als Erprobte, als Beispiel des Ausharrens für viele andere Menschen hervorgehen. Schon jetzt ist eine – meine ich und davon bin ich überzeugt – engere Gemeinschaft unter Ihnen Entstanden. Die Geschwisterlichkeit unter allen Brienzerinnen und Brienzern ist aufgeblüht, der Zusammenhalt ist grösser geworden und nicht nur das: Sie haben bereits grosse Zeichen der Solidarität von nah und fern erlebt. Brienz ist inzwischen an vielen Orten der Welt ein Begriff geworden. All das wird eine neue Lebensetappe in der Geschichte von Brienz ermöglichen und in der Geschichte eines jeden von Ihnen.

Beherzigen wir die Aussagen des Herrn: «An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch». Möge der heutige Tag bereits der Tag sein, von dem Jesus hier spricht. Möge diese Eucharistiefeier uns die Gnade schenken, deutlicher zu erfahren, dass unser himmlischer Vater, dass Jesus, unser Erlöser, und dass der Heilige Geist uns nicht allein lassen, sondern mit uns da sind und da sein wollen, dass unser Gott mit uns durchmacht, was wir durchmachen müssen.  Amen

Tiefencastel, 14. Mai 2023

 

Berichterstattung von RTR aus Tiefencastel:

https://www.rtr.ch/play/tv/telesguard/video/telesguard-dals-15-05-2023?urn=urn:rtr:video:3e474351-6921-4712-825a-694b1687fc64

Berichterstattung von Vatikan News:

https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2023-05/schweiz-bischof-bonnemain-brienz-direktbetroffenen-felssturz-not.html