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Bistum Chur

Homilie Bischof Joseph Marias an Ostern

Liebe Schwestern und Brüder

Vorher, beim Tagesgebet, haben wir Gott unter anderem gesagt: „Schaffe uns neu durch deinen Geist, damit auch wir auferstehen und im Licht des Lebens wandeln.“

Der Ausdruck Licht des Lebens ist am heutigen Tag durch und durch treffend. In der Osternacht wird die Osterkerze angezündet, welche den Sieg Christi über die Finsternis und das Dunkel darstellt. Wir haben es gestern gehört: „Die Nacht wird hell wie der Tag, wie strahlendes Licht wird die Nacht mich umgeben.“ Das Leben, das Christus uns gegeben hat, verdrängt alles Dunkel der Welt.

Im Herrn Geliebte, als Christen sollten wir im Grunde fähig sein, an jedem Tag des Jahres, in jeder Jahreszeit das Aufblühen des Lebens zu entdecken. Als gläubige Menschen sollten wir überzeugt sein, dass mit jedem Tag des Lebens der ewige Frühling immer näher heranrückt. Diese Glaubensüberzeugung macht uns zuversichtlich selbst mitten in Kälteperioden, in dunklen Abschnitten des Lebens.

Diese Zuversicht – Dank dem endgültigen Sieg Christi über den Tod – bedeutet aber nicht, dass wir die Baustellen in unserem Leben, die dunklen Flecken unseres Verhaltens, die bösen Neigungen endgültig hinter uns haben. Wir haben vorher auch gebetet, dass Gott uns neu erschaffen soll. Neu geschaffen zu werden, neu werden, bedeutet aber nicht, dass wir uns, so wie wir sind, verleugnen müssen, dass wir uns wegen uns selber kränken müssen, das wäre kein richtiges Verständnis von Ostern. Die Apostel mit ihren Schwächen, mit ihrem begrenzten Verständnis der Heiligen Schrift, aufgrund der niederschmetternden Enttäuschung der Kreuzigung des Herrn hatten anfänglich Mühe, sich von der Auferstehungsbotschaft ergreifen zu lassen. Nur mit der Zeit – Dank des Wirkens des Heiligen Geistes – sind sie dann Säulen der Kirche geworden. Auch Maria von Magdala war zuerst unsicher, erkannte den Auferstandenen nicht. Erst nachdem Jesus sie beim Namen nannte – lässt sie sich nach und nach überzeugen und wird die erste Apostelin der Auferstehung für die Welt.

Ist das nicht das grösste Wunder von Ostern? Die Apostel, die Jünger waren, wie sie waren. Sie sind diejenigen, die den Herrn im Stich gelassen hatten, sie sind feige geworden, nicht zuletzt auch Petrus. Jeder von uns hätte sich an Christi Stelle nach der Auferstehung andere Jünger, brauchbarere, bessere Apostel ausgesucht. Wir hätten wahrscheinlich gedacht: Mit diesen kann man kaum etwas anfangen. Der Auferstandene handelt aber anders. Er sucht sie nochmals, er schenkt ihnen nochmals das ganze Vertrauen. Und diese unaufkündbare Zusage des Auferstanden ist gerade das, was sie nach und nach verwandelt. Wenn ich es so ausdrücken darf: Nicht die Auferstehung des Herrn hat die Jünger neu geschaffen, sondern das Erleben des Vertrauens, das er ihnen nochmals schenkte. Sie blieben die Alten und doch konnten sie sich aufgrund der Zuneigung Christi erneuern. Sie waren die Alten und doch gleichzeitig neu geschaffen und das immer und immer wieder, weil Christus mit ihnen und in ihnen endgültig geblieben ist. Vor Christi Himmelfahrt sagte ihnen der Herr: Ich komme zurück und dann werde ich in euch sein und ihr werdet in mir sein.

Liebe Brüder und Schwestern, das ist unser christliches Leben: Die Verwandlung, die neue Schöpfung in uns hat noch nicht definitiv stattgefunden, sie ist noch nicht abgeschlossen, aber Jesus steht auf unserer Seite, begleitet uns und wir können immer mehr ihm ähnlich werden. Das Vertrauen wirkt Wunder, Gott vertraut uns ganz. Vertrauen wir ihm auch ‒ restlos? Oder haben wir immer noch Mühe mit uns selber?

Es wäre nicht richtig, wenn wir die heutigen Überlegungen nicht auch auf das praktische und tägliche Leben übertragen würden. Erlauben Sie mir, etwas zu erzählen, was mir vor einiger Zeit ein Mann sagte:

Dieser Mann erzählte mir, dass er von der Arbeit zurückkam ‒ seine Frau arbeitete in der Küche. Er ging zu ihr und schaute, wie sie mit einem scharfen Messer Rüebli in Scheiben schnitt. Er sagte ihr ganz aufgeregt, pass auf deine Finger auf! Die Frau begann dann auch, mit dem Messer Zwiebeln zu schneiden. Der Mann sagte ihr wieder, noch aufgeregter, und lauter: Du, pass auf die Finger auf. Die Frau tat das ganze Gemüse in die Pfanne, die mit heissem Öl schon bereitstand. Der Mann schrie ausser sich: bist du verrückt, merkst du nicht, dass alles in Brand geraten kann? Die Frau verstand das Verhalten ihres Mannes überhaupt nicht mehr. Sie sagte ihm: Du, mein Lieber, wir sind 35 Jahre verheiratet und ich mache diese Arbeit seit 35 Jahren. Was fällt dir heute ein, mich plötzlich derart zu warnen? Der Mann antwortete: Meine liebe Frau, ich wollte nur, dass du verstehst, was ich nach 35 Ehejahren empfinde, wenn du meine Art mit dem Auto zu fahren noch ständig kommentierst.

Wir dürfen von den Mitmenschen nicht Wunder erwarten. Auch die Menschen in unserer Nähe, auch jene, die uns nahe sind und die wir lieben, sind, wie sie sind. Wenn wir aber ihnen, gerade so, wie sie sind, Vertrauen schenken, stellt diese unsere Haltung die grösste Motivation dar, damit sie sich doch verändern. Vorwürfe und Kritik, Rügen und Misstrauen blockieren, paralysieren, lähmen, machen starr.

Der Ostertag ist der Tag, an dem wir das endgültige Vertrauen Gottes in uns Menschen feiern. Wenn Gott uns nicht restlos vertrauen würde, wenn er nicht eine ungebrochene Hoffnung auf eine gute Entwicklung der Menschheit hätte, wäre er nicht auferstanden, beziehungsweise hätte er sich direkt in den Himmel zurückgezogen.

Es wäre aber nicht richtig, wenn wir nur einmal pro Jahr das Vertrauen zu Gott und den Menschen erwecken würden. Wir sollten uns vielmehr vornehmen, jeden Sonntag als Tag der Auferstehung zu erleben. Unser Vorsatz sollte heissen: Am Anfang jeder Woche das Vertrauen in Gott und in den Menschen auferwecken, neu beleben und dies in Taten umsetzen. Ich würde noch mehr sagen: Jedes Mal, wenn wir das Vaterunser beten und sagen: Dein Wille geschehe, sollten wir diese Worte mit grösstem Nachdruck und innerer Überzeugung aussprechen, im Sinne eines restlosen Vertrauens in Gott und in seine begleitende Vorsehung.

Im Herrn Geliebte, schenken wir uns gegenseitig Vertrauen, erneuern wir stets unser Vertrauen in Gott und unser Leben wird ein dauerndes Osterfest sein. In diesem Sinne wünsche ich allen ein frohes und vertrauensvolles Osterfest. Amen

 

Chur, 31. März 2024

Joseph Maria Bonnemain,
Bischof von Chur