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Bistum Chur

Homilie Bischof Joseph Marias in der Osternacht

Liebe Mitbrüder,
liebe Schwestern und Brüder

Wie wir gehört haben, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und Salome – sobald der Sabbat vorbei war – wohlriechende Öle. Das war sicher kein einfaches Unterfangen. Man kann sich fragen: Wo haben sie einen offenen Laden gefunden, jemanden, der – kaum der Sabbat vorbei war – ihnen das wohlriechende Öl verkaufte? Damals gab es keine Tankstellen-Shops oder einen Bahnhof, wo Geschäfte auch an Sonn- und Festtagen offen sind. Wenn man aber brennend etwas will, dann macht uns diese Sehnsucht erfinderisch und wagemutig. Die Frauen waren beim Sonnenaufgang bereits unterwegs. Noch mehr: Als die Sonne aufging, standen sie schon am Grab; geschlafen haben sie in jener Nacht kaum. Wenn man von einem grossen Anliegen getrieben wird, braucht man sozusagen keinen Schlaf, spürt man die Müdigkeit nicht, verliert man keine Sekunde, scheut man keinen Aufwand.

Salome und die beiden Marias überlegten sich unterwegs, wie sie den sehr grossen Stein, der den Eingang des Grabes versperrte, wegwälzen könnten. Sie wussten, dass sie dies kaum selber zustande bringen würden, deswegen fragten sie sich: Wer könnte uns dabei helfen? Wen könnten wir damit beauftragen? Sie wären sicher bereit gewesen, kräftige Männer für teures Geld einzuspannen. Ja, die Liebe macht erfinderisch, die Liebe ist kühn. Die Liebe lässt sich nicht von verschlossenen Türen blockieren, bremsen. Dachten diese Frauen unterwegs nicht vielleicht auch an die Worte des Herrn: Der Glaube versetzt Berge? Oder dachten sie nicht auch an jenes Psalmwort: Mit meinem Herrn überspringe ich Mauern? Der Glaube, die Liebe, die Hoffnung kennen kein Nein, keine Barriere und keine Hindernisse.

Liebe Schwestern und Brüder, stellen wir uns das vor: Sie waren von dieser inneren Dynamik und Kühnheit getrieben, weil sie den Leichnam des Herrn für die endgültige Grabesruhe salben wollten. Wie die Engel ihnen sagten, suchten sie den Gekreuzigten, aber sie würden dann den Auferstandenen finden. Wir können uns gut vorstellen, mit welcher Passion, mit welcher Energie sie unterwegs gewesen wären, was sie alles unternommen hätten, wenn sie erahnt hätten, dass sie dem Auferstandenen, dem Lebendigen entgegen gingen. Sie hätten ganz Jerusalem mobilisiert, oder? Durch ihre Begeisterung hätten alle Feuer gefangen.

Wie wir gehört haben, heisst es, dass der Stein, der das Grab verschloss, sehr gross war. Wie klein sind die Steine, die Hindernisse, wie lächerlich, wie bedeutungslos, wenn die Liebe uns treibt! Das will ich in dieser heutigen Osternacht betonen. Es ist eine Frage der Motivation. Es stellt sich hier die Frage: was bewegt uns schlussendlich? Was suchen wir? Wen suchen wir im Leben?

Vorher haben wir die Lesungen aus dem Alten Testament gehört. Bei der Schilderung der Schöpfung wird uns die Motivation Gottes vor Augen gehalten. Gott sieht das Geschaffene und stellt fest: «Es ist sehr gut.» Gott hat einen scharfen Blick für das Gute. Er entdeckt das Gute überall, in allem und in allen. Einen solchen Blick sollten wir uns aneignen, so werden wir uns von keiner Enttäuschung bremsen lassen. Abraham wurde aufgrund seiner Treue Vater einer unermesslichen Nachkommenschaft, so zahlreich, wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meeresstrand. Wir brauchen weite Perspektiven, kühne Ziele und nicht mickrige Vorhaben. Mose stand mit dem Volk vor dem Meer und wagte auf das Wort Gottes hin aufzubrechen und zwischen den Wassermauern hindurch zu schreiten. Die Geschichte des Heils geschah und geschieht durch Menschen, die höchst motiviert sind.

Vor zwei Wochen fand die diözesane Friedenswallfahrt nach Sachseln statt. Dort betrachtete ich die riesigen schwarzen Marmorsäulen in der Kirche von Sachseln – gewaltig! Sie wurden aus den Steinbrüchen im Melchtal abgetragen und bis Sachseln transportiert. Wie das im 17. Jahrhundert möglich war, ist bis heute ein Rätsel. Der Glaube aber macht kühn. Wir könnten hier viele Unterfangen der Menschheitsgeschichte aufzählen, wo Menschen von etwas Grossem beflügelt, keine Mühe scheuten und keine Hindernisse kannten.

Die Frage in der Nacht der Auferstehung heisst: Ist es unser Lebensziel, mit dem Auferstandenen in das nie zu Ende gehende Leben hineinzuschreiten? Bewegt uns und macht es uns kühn und erfinderisch, wagemutig und dynamisch zu wissen, dass die Liebe keinen Tod kennt, dass Gott grösser ist als alle gewaltigen und todbringenden Steine? Was haben wir vor? Was motiviert uns schlussendlich? Hier ist nicht gemeint, dass wir stets Auffälliges und Aussergewöhnliches vorhaben und zustande bringen müssten. Wenn wir das Kleinste mit Gott vor Augen, verbunden mit ihm – dem einzig wirklich Lebendigen – unternehmen, wird dieses Kleine unermesslich gross und erreicht eine unermessliche Tragweite. Wir können durch Glauben, Hoffnung und Liebe, das Kleinste verwandeln. Im Kleinen des Alltags wartet der Lebendige auf uns. Wir können das Vergängliche überwinden, wir können aus unserer Erde den Anfang des Himmels machen. Das ist die Osterbotschaft. Und in diesem Sinne wünsche ich ihnen ein Leben bringendes Osterfest. Amen

 

Chur, 30. März 2024

Joseph Maria Bonnemain,
Bischof von Chur