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Bistum Chur

Homilie von Bischof Bonnemain in der Osternacht

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder

Nur das Evangelium von Matthäus, das wir hörten, berichtet über die Entfernung des Steines, der das Grab des Herrn verschloss. Wir erfahren, dass der Engel vor den Augen der Frauen den Stein weggewälzt hat – kein Dieb. Gleichzeitig setzt der Bericht voraus, dass Jesus durch das verschlossene Grab auferstanden ist.

Das leere Grab ist nicht das erste und wichtigste Zeichen für die Auferstehung unseres Herrn. Dass Christus aber durch die steinigen Wände des Grabes herauskam, spricht für die Fülle des Lebens, die er nun endgültig besitzt.

Der Engel sagte den Frauen: «Kommt her und seht euch den Ort an, wo er lag!» Es ist beinahe eine Einladung zu einer wissenschaftlichen Untersuchung. Was hat dieser Ort Besonderes, was kann man daraus schliessen? Im Johannes-Evangelium werden die Begebenheiten im leeren Grab ebenfalls geschildert und die dortige Beschreibung hilft uns vielleicht, das Ganze besser zu verstehen. Johannes berichtet über eine ähnliche Überprüfung des Grabes durch Petrus und Johannes: «(Petrus) sah die Leinenbinden liegen und das Schweisstuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte» (Joh 20,6-8).

Was sahen sie, was sahen Petrus und Johannes an jener Stelle, das zum Glauben an die Auferstehung Jesu führte? Die Übersetzung des ursprünglichen Textes der Bibel ist nicht einfach. Das Besondere dort war die Art, wie die Binden lagen. Wenn wir uns einen Kokon einer Seidenraupe vorstellen, können wir vielleicht das Vorgefallene besser verstehen. Wenn wir einen intakten Kokon finden würden, ohne irgendein Loch, ohne irgendeine Öffnung, aber nicht mehr angeschwollen, nicht mehr ausgedehnt, sondern entleert, zusammengefaltet, ausgeblasen weil die Raupe nicht mehr drin ist, würden wir daraus schliessen müssen, dass die Raupe ohne fremde Einwirkung, kraft eigener Lebendigkeit aus dem Kokon herausgekommen ist. Da wir aber keine Öffnung feststellen können würden, müssten wir daraus schliessen, dass die Raupe eine überirdische Lebendigkeit besitzt, um durch die Seidenwände herauszukommen, ohne sie zu berühren. So sah die Stelle, wo Christus gelegen war, aus, so sahen die Binden aus: intakt, immer noch perfekt gerollt, um einen menschlichen Körper zu umwickeln, aber nun leer, ohne Körper darin, zusammengeklappt. Das Schweisstuch lag ebenfalls flach da, ohne das Gesicht, das vorher darunter lag.

Christus ist auferstanden dank einer Kraft, die alle Naturkräfte übersteigt. Es handelt sich nicht um eine Auferweckung so wie bei Lazarus, der wieder sterben musste, es handelt sich um die Herrschaft des Lebens schlechthin, für immer.

Der Engel verkündet und bestätigt die Auferstehung: «Er ist von den Toten auferstanden!» Die Frage, die sich hier stellt, ist sehr pointiert: Können Engel lügen? Die Tatsache der Auferstehung ist aber so überwältigend, sie übersteigt so sehr unsere Vorstellungen vom sterblichen Leben, dass hier selbst die einwandfreie Glaubwürdigkeit der Engel nicht ausreicht. Darum erscheint der Auferstandene dann den Frauen persönlich, als endgültige Bestätigung der Osterbotschaft des Engels.

Die Erscheinung bestätigt nochmals die Schlussfolgerung der Beobachtung der vorhandenen Umstände im leeren Grab. Die «Qualität», die Art der Auferstehung ist zwar leibhaftig, aber total anders. Was ist anders? Die Bindung an Grenzen ist entfallen; die Bindung an die Grenzen von Raum, Zeit und Vergänglichkeit. Der Auferstandene lebt wirklich, lebt total. Er geht durch die Binden hindurch, er geht durch den Stein hindurch. Er kann durch alle Wände des Universums hindurchgehen, durch alle Zeiten und Räume, er kann augenblicklich überall anwesend sein und er ist zugleich stets im Himmel, in der Einheit des Dreifaltigen Gottes. Man könnte sagen, dass Christus durch die unendliche Liebe der Selbsthingabe am Kreuz wie geschmolzen, verwandelt und in einer neuen Form des Seins auferstanden ist, in der er nun immer zugleich beim Vater und bei den Menschen ist, wie Papst Benedikt bereits in einer Predigt einmal sagte (Gründonnerstag, 20.03.2008).

Es lohnt sich, dass wir diese Wirklichkeit ergründen und vertiefen. Wir glauben erst wirklich an die Auferstehung unseres Herrn – mit einem wirksamen Glauben, der unser ganzes Leben erhellt und beflügelt – wenn wir glauben, dass keine Macht und keine Umstände ihn von uns entfernen können. Er ist wirklich der Immanuel, der Gott mit uns, der Himmel mit uns, zu allen Zeiten, an allen Orten, unter allen Umständen. Wir sollten uns fragen: wenn wir uns tagtäglich mit allerlei Anliegen, Geschäften, Sorgen. Wünschen, Plänen, Herausforderungen auseinandersetzen, lenkt uns dies von Gott ab oder kommt uns dadurch gerade – in all diesen Dingen der Welt und des Lebens – Gott in den Sinn? An die Auferstehung des Herrn wirklich glauben, bringt mit sich, ihn sehr nahe zu wissen. Die sogenannte Abwesenheit Gottes bei all den grausamen und tragischen Ereignissen in der Welt, sollte für uns – gestützt auf den Glauben – der kräftigste Beweis der Gottesanwesenheit sein.

Im Herrn Geliebte, die stete Gottesgegenwart ist der Prüfstein unseres Glaubens an die Auferstehung. An die Auferstehung unsers Herrn Jesus Christus wirklich zu glauben, heisst nämlich, überzeugt zu sein, dass der Herr uns nicht mehr verlassen kann und uns nicht mehr verlassen will, dass sein Leben alle Dimensionen unseres Lebens erreichen kann. Amen