Von Weihbischof Marian Eleganti, Schweizer Jugendbischof
Es sind die immer gleichen oberflächlichen Gedanken, die in den Medien auftauchen, wenn es um die katholische Lehre geht. Die Kirche soll bei den „Menschen von heute“ sein, näher am „realen Leben“ und an „gesellschaftlichen Veränderungen“.
Das sind Ohrwürmer, die mir ziemlich auf den Keks gehen. Weil sie in Bezug auf die Richtigkeit eines Standpunkts Leerformeln sind. Nur weil gesellschaftlich etwas stattfindet, muss es deswegen noch lange nicht erstrebenswert sein. Entwicklung ist nicht automatisch immer Fortschritt. Und man kann das reale Leben sehr wohl aus der Nähe kennen, ohne alles gut finden zu müssen. Gerade ein Realist kann kritisch sein: wie Jesus, der wusste, „was im Menschen ist“.
Wir Bischöfe sollen nahe bei den Menschen von heute sein: wer würde da widersprechen? Die Frage ist nur, mit welcher Intention, mit welcher Botschaft? Müssen wir alles absegnen, was die Menschen von heute tun? Etwa Embryonen verbrauchen, sich selbst an die gesellschaftliche Ökonomisierung verschwenden? Nein, ich würde im Gegenteil sagen, dass wir heute nahe bei den Menschen sein müssen, um sie zur Umkehr zu bewegen, denn unsere gegenwärtige Kultur ist keine Kultur der Liebe, sondern der Leistung und Rationalisierung.
Ich sehe die Zeichen der Zeit, aber ich deute sie nicht als Signal zur Anpassung, sondern zum Gegensteuer, aus der Kraft des Evangeliums. Mir ist klar, diese Haltung ist nicht mehrheitsfähig. Sie macht mich zu einem Polarisierer. Ganz schlecht! Das Leben der Menschen ernst nehmen heisst für mich: es ernsthaft im Licht des Evangeliums anschauen. Wenn Menschen lügen, betrügen oder zu schnell fahren, sage ich nicht: „Ändern wir die Regeln! Lügen ist okay, weil es sowieso keine Wahrheit gibt. Betrügen und Gesetze übertreten sind okay, denn das ist die Realität.“
Die typischen Kritiker der kirchlichen Lehre sagen, wir sollen alle Menschen mit Liebe behandeln, nicht mit dem Gesetz. Das sind schöne Worte, eingesetzt als Waffe gegen Gebote, die einem nicht passen. Vor allem theologisch Gebildete verstehen dieses Handwerk. Da schöne Worte schöne Gefühle wecken, muss man nicht mehr gross argumentieren. Das Publikum wird emotional abgeholt. Ein anderes Beispiel: „Ich bin für eine offene Kirche.“ Schön. Ich liebe auch ein offenes Haus, aber nur im Sinn guter Gastfreundschaft. Manchmal schliesse ich die Türe ab. Weil ich die Lebenswirklichkeit ernst nehme. Deshalb sind wohl die meisten von uns diebstahlversichert.
Ja, ich möchte den Menschen von heute nahe sein, offen für das moderne Leben. Aber nicht, um die Lehre der Kirche daran anzupassen, sondern um den Menschen zu helfen, darin wieder eine Hilfe zu sehen, um die Gegenwart kritisch zu betrachten, im Dienst des Lebens. Denn das ist es, was die Lehre der Kirche tut: sie schenkt dem Menschen einen Masstab, der über den Strömungen der Zeit steht. Dies ist ihre Grösse und ihr Skandalpotential. Dagegen wettern oberflächliche Kritiker, die lieber den Ohren des Massengeschmacks schmeicheln. Wir aber sollen wahre Liebende sein. Und wahre Liebende gehen in die Tiefe. Sie sagen einander die Wahrheit, sogar wenn es weh tut.