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Bistum Chur

Missio-Feier in Zürich, St. Anton

Liebe Monika, Alexandra, Medea, Daniel und Alexander
Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

Es ist mir ein grosses Anliegen, euch fünf Seelsorgerinnen und Seelsorger, die heute beauftragt und in das pastorale Wirken unseres Bistums gesendet werdet, ganz herzlich zu danken. Es ist nicht selbstverständlich, dass ihr dazu bereit seid. Wenn wir uns das heutige Evangelium vor Augen halten, könnte man meinen, dass unsere Welt alles andere als eine fruchtbare Erde darstellt: viele Steine und viele Dornen. Ihr habt euch dennoch entschlossen – gerade unter solchen Umständen – als Säende des Heils zu wirken. Wenn wir nun die Kernbotschaft der beiden Lesungen (Jes 55, 10-11; 1 Kor 3, 1-9) und des Evangeliums (Mt 13, 1-23) zusammenfassen, kommen wir zum Schluss, dass es sich lohnt, sich dabei total zu engagieren. Wie lautet die Zusammenfassung? Wir können sie mit einem Wort des Herrn zum Ausdruck bringen: «die Ernte ist gross» (Lk 10,2).

«Die Ernte ist gross», weil sie schliesslich nicht primär von den Umständen abhängig ist und auch nicht von unseren Fähigkeiten bzw. von unserer Bereitschaft. «Die Ernte ist gross», weil Gott gross ist, das heisst: weil seine Grosszügigkeit und Grossherzigkeit, weil seine Liebe und Treue unermesslich und unendlich sind. Seit Urzeiten spannt sich der Regenbogen Gottes über unsere Erde, als Zeichen des nie mehr zu Ende gehenden Ja-Wortes und der unaufkündbaren Zuneigung Gottes zu uns Menschen. «Die Ernte ist gross», weil ER «wachsen lässt» (1 Kor 3,7), weil er alles für eine gute Ernte einsetzt. Wir haben es mit einem Gott zu tun, der alles andere als knausrig ist; wir haben es mit einem Gott zu tun, der mit seiner Hingabe und mit seinen Gaben total verschwenderisch umgeht. Wir müssen nur das heutige Gleichnis näher betrachten. Obwohl der Sämann sich bewusst ist, dass nicht die ganze Fläche des Erdreichs gleich fruchtbar ist, sät er in grossen Mengen, mit vollen Händen in alle Richtungen. Er nimmt Verluste in Kauf, weil er weiss, dass schliesslich alles 100-, 60- oder 30-fach Frucht bringt.  Die Botschaft ist klar: es lohnt sich, gerade in Zeiten, wo nicht alle Böden unserer Gesellschaft aufnahmebereit sind, vorbehaltlos und grosszügig in die Seelsorge zu investieren. Es lohnt sich, zu pflanzen und zu begiessen, sich einzusetzen, weil der Einsatz Gottes schon zuvor vorhanden ist. Wie ermutigend sind die Worte des Herrn: «Erhebt eure Augen und seht, dass die Felder schon weiss sind, reif zur Ernte!» (Joh, 4, 35). Diese Dynamik der Fruchtbarkeit des Reiches kann man nicht quantitativ messen. Die Zahlen dürfen nicht unser letzter Beweggrund und auch nicht die Quelle allfälliger Entmutigungen sein. Ein einziger Mensch, der durch unser seelsorgliches Wirken für das Wort Gottes empfänglich wird, kann die ganze Erde fruchtbar machen. Dies, weil dafür die Wachstumskraft Gottes wirkt: «Denn wir sind Gottes Mitarbeiter, ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bau» (1 Kor 3,9).

Gehen wir im Evangelium weiter. Eine Welt ohne Steine und ohne Dornen, ohne Abwege und hungrige Vögel, ist nicht die Welt, die Gott sich für die Heilsgeschichte vorgestellt hat. Wenn Gott anders denken würde, hätte Jesus das Gleichnis anders konzipiert. Er stellt uns eine Erde mit Hindernissen vor, aber mit Hindernissen, die schliesslich die fruchtbare Ernte nicht verhindern. Dass es Steine, Dornen und pickende Vögel gibt, entmutigt ihn nicht, sondern spornt ihn an, das Leben für die Fruchtbarkeit des Universums und der Geschichte, ja des menschlichen Herzens hinzugeben. Er findet sich nicht nur mit dieser Situation ab, sondern bejaht sie und geht einen Liebesbund mit unserer Welt ein. Nur der regelmässige Umgang mit ihm ermöglicht es uns, dass auch wir uns eine ähnliche Einstellung aneignen.

Heutzutage wird das Bio-Label immer mehr geschätzt und gepflegt. Bio-Äpfel z.B. sehen zwar nicht so attraktiv aus, sind aber sehr geschmackvoll. Was zwischen Steinen wächst, wird vielleicht nicht so produktiv und prächtig, dort gerade aber reifen – geschickt gepflegt – seltene und kostbare Früchte heran.  Erforderlich ist aber auf jeden Fall, sich zu bemühen, damit die Wurzeln kräftiger werden. Ohne Wurzeln wird alles unbeständig und wackelig. Vielleicht finden wir hier eine Andeutung einer wirksamen Seelsorge unserer Zeit. Ich stelle fest, dass die Menschen in unserer heutigen Zeit – besonders die jüngere Generation – sich vor endgültigen Entscheidungen fürchten. Es herrscht in den Herzen oft Unbeständigkeit, Labilität, Momente des Zögerns, Unentschlossenheit. Man traut sich nicht, beständige, nachhaltige Schritte zu tun. Vieles ist auswechselbar, austauschbar und unverbindlich. Man wechselt leicht Ausbildung, Beruf, Interessen, Hobbys, Kollegen, Kolleginnen, Wohnorte, Glaubensrichtungen usw. Dieser Mangel an tiefer Lebensverwurzelung macht den Menschen nicht glücklicher und hindert gelegentlich die Fruchtbarkeit des Lebens. Es ist gut, daran zu denken und die Wurzeln des Menschlichen zu kräftigen: echte Freundschaften, Familienstabilität, dauerhafte Beziehungen, Loyalität und Treue. All das hat mit wirksamer Seelsorge viel zu tun.

Im Evangelium ist auch die Rede von Dornen, von Dornen, die die gute Saat und die wachsenden Früchte allmählich ersticken. Da kommt mir das Gleichnis vom Weizen und Unkraut in den Sinn (vgl. Mt 13, 24-30). Als Pflegende des Erdreiches könnten wir schnell in Versuchung kommen, alle Dornen wegzunehmen und den guten Samen total zu isolieren, damit er beim Wachsen nicht mit Dornen in Kontakt kommt. Ist das die Lösung? Die erstickenden Ablenkungsangebote sind heute vielfältig und vielseitig. Die Möglichkeit, vom Wesentlichen abgelenkt zu werden, da wir kurzlebige Angebote bekommen, welche Freude, Unterhaltung, Erfüllung, Spannung anbieten, ist gross. Dafür sind vor allem junge Leute besonders anfällig. Denken wir z.B. an die Social Media. Die Lösung besteht aber nicht darin, die jungen Leute und die weniger Jungen in einem isolierten Treibhaus zu kultivieren. Die Lösung ist, sich ihnen anzunehmen und uns auf sie zu konzentrieren. Die Menschen müssen sich mitten in unserer Welt – so wie sie ist, mit ihren Dornen – sicher bewegen und gut entfalten können. Wenn die Menschen motivierende und anziehende Antworten auf die Grundfragen des Lebens erhalten: woher kommen wir, wohin gehen wir, was ist Gott, wer ist Gott, was ist wirkliche Liebe, was ist das Glück, was erfüllt uns wirklich, was sind Himmel und Ewigkeit, wie erklären wir den Tod und das Leiden, dann können sie sich wunderbar mitten in dornigen Pseudoangeboten entfalten und gedeihen.

Im Herrn Geliebte, wir arbeiten für eine Firma, die die beste Ware produziert. Wir bieten – gratis – das beste Produkt an: «die Ernte ist gross». Amen.

Zürich, St. Anton, 2. September 2023
Bischof Joseph Maria

Fotograf, Generalvikar Luis Varandas