Am 29. Mai fand in der Heilig-Geist-Kirche in Zürich Höngg ein Gedenkgottesdienst für den verstorbenen Weihbischof Paul Vollmar statt. Bischof Joseph Maria hielt die Predigt, die hier im Wortlaut nachzulesen ist.
Lieber Weihbischof Peter
Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder
Uns allen ist es ein grosses Anliegen, unseres verstorbenen emeritierten Weihbischofs Paul Vollmar auch hier in Zürich in einer Eucharistiefeier zu gedenken und für ihn zu beten, in tiefer Dankbarkeit für sein priesterliches und bischöfliches Wirken in unserem Bistum.
Wie schon bei seiner Beerdigung, so habe ich auch für diesen Gottesdienst die Erzählung vom Wunder in Kana aus dem Johannesevangelium (Joh 2, 1-12) ausgewählt. Aus ihr hatte Paul Vollmar seinen bischöflichen Wahlspruch entnommen: «Was er euch sagt, das tut». Dieser Spruch hat sein Leben als Ordensmann, Priester und Bischof geprägt. Danach hat er sein Handeln ausgerichtet. Und das war bekanntlich nicht immer leicht.
Auch für die Diener im Hause der Frischvermählten von Kana war die Aufforderung Marias nicht einfach. Sie befanden sich in einer Art Loyalitätskonflikt. Anweisungen oder Befehle durfte ihnen eigentlich nur der Hausherr oder der unmittelbar für die Organisation des Festmahls Verantwortliche erteilen. Dennoch folgten sie der Einladung der Mutter Jesu und taten das, was ihnen jener Gast aus Nazareth sagte. Es war, als hätten sie intuitiv erfasst, dass Gott der eigentliche und einzige Hausvorsteher ist: Er ist der Gastgeber beim Mahl des ewigen Lebens; er trägt die letzte Sorge für alle und alles.
Maria lädt uns immer ein, das zu tun, was ihr Sohn sagt, denn er ist unser Erlöser. Und dies, obwohl wir gleichzeitig verschiedenen Obrigkeiten und Autoritäten Folge zu leisten haben.
Paul Vollmar wurde Weihbischof inmitten schwieriger Umstände und Verhältnisse, ja wegen ihnen. Als solcher war es einerseits seine Aufgabe, loyal zum Diözesanbischof und zur Weltkirche zu stehen. Zugleich aber musste er sich den Erwartungen des Volkes Gottes stellen und Gegensätze überbrücken. Zuallererst und zuallerletzt aber wollte er gemäss seinem Wahlspruch dem gegenüber loyal sein, was er als die Stimme des Herrn erkannte.
So lebte Paul Vollmar in einer andauernden Spannung. Er hat es während langer Jahre ausgehalten, «unter Strom zu stehen». Ich erwähne dies hier gerade auch deswegen, weil ich es sehr gut – am eigenen Leib – mitempfinden kann.
Es ist für alle unübersehbar: Ich bin mit grossen Erwartungen konfrontiert, die zum Teil in entgegengesetzte Richtungen gehen. Bestimmte Sektoren unserer Kirche in unserem Bistum möchten mich ganz auf ihrer Seite wissen. Viele Erwartungen und viele belastende Situationen werden an mich herangetragen. Manche Menschen fühlen sich diskriminiert und ungerecht behandelt. Zugleich ist es – wie ebenfalls alle wissen – meine Aufgabe, gegenüber den Leitlinien und Gegebenheiten der Weltkirche loyal zu sein. Da stellt sich unausweichlich die Frage: Was sagt uns der Herr? Was sagt er mir?
In Kana und aus der Sicht Marias war die Sache ganz klar. Jesus war persönlich anwesend, und er war Gottes Sohn. Maria wusste: Durch ihn spricht die Stimme des Himmels. – Für uns ist die Lage weniger klar. Jesus ist in den Himmel aufgefahren, wir können ihn nicht in jeder neuen Situation direkt befragen.
Was tat wohl Maria nach der Himmelfahrt ihres Sohnes? Sagte sie den ersten Jüngerinnen und Jüngern ebenso entschieden wie in Kana: «Was er euch sagt, das tut»? Verwies sie vielleicht auf Johannes, der sie bei sich aufgenommen hatte und der wohl am tiefsten in den Geist Jesu eingedrungen war? Wussten die Jüngerinnen und Jünger mit diesem Leitspruch immer eindeutig, was Jesus in jeder Lage wollte?
Uns stellt sich dieselbe Schwierigkeit. Was sagt uns Jesus, der Gottessohn? Was sagt er mir hier und jetzt? Und wie lässt er es mich verstehen? Die Antwort scheint uns manchmal ganz klar, manchmal aber braucht sie viel Gebet und Nachdenken. Eines aber ist sicher: Paul Vollmars Wahlspruch, das heisst der grundlegende Rat Marias, bleibt unverändert gültig. Wir können ihn nicht über Bord werfen, nur weil er manchmal schwierig zu konkretisieren ist. Unter diesem Grundprinzip bemühen wir uns nach Kräften um die Einheit mitten in einer Vielfalt von Stimmen und Optionen, mitten in einem Spannungsfeld. Nicht zuletzt deswegen habe ich auch heute eine Lesung mit Pfingstfärbung ausgewählt.
Im kommenden Oktober werden wir den diözesanen synodalen Weg beginnen. Wir wollen einen Weg der Integration, der Aufnahmebereitschaft, der Vielstimmigkeit wagen. Das wird dann gelingen, wenn wir bereit sind, alle Stimmen als ebenbürtig zu betrachten und zu beachten.
Es ist unser Wunsch, ja unsere Ambition, die Universalkirche und die anderen Teilkirchen zu bereichern, indem wir aus unserem örtlich inkulturierten Glauben schöpfen, aus unseren Traditionen und Werten: der aktiven Partizipation, dem Milizsystem, der Subsidiarität. Aber dies alles, ohne die Universalperspektive aus den Augen zu verlieren. Wir wollen das Wagnis eingehen, unser kirchliches Denken zu universalisieren.
Die Kirche Stadt Zürich hat sich in den letzten Jahren als vitale Realität weiterentwickelt, und man ist daran, die Stadtkirche zu konzipieren, wie sie in 10 Jahren aussehen wird oder soll. Dabei sollte Zürich aber bewusst in seiner Bistumsregion – im Generalvikariat Zürich/Glarus – integriert bleiben, und diese ihrerseits soll zur Entfaltung des ganzen Bistums beizutragen. Vergessen wir nicht, dass wir unsere Vitalität auch aus der Weltkirche schöpfen. Nur so werden wir wirklich erahnen und besser erfahren, «was ER uns sagt».
Vor zwei Wochen sagte Papst Franziskus in seiner Homilie an die Gläubigen von Myanmar unter anderem: Es kann sich jede und jeder von uns «als Sämann der Brüderlichkeit und bei der Wiederherstellung dessen, was in die Brüche gegangen ist, engagieren. Dazu sind wir aufgerufen, auch als Kirche: Fördern wir den Dialog, den Respekt vor dem anderen, die Sorge um die Brüder und Schwestern, die Gemeinschaft! Und lassen wir nicht ein „Denken in Parteien“ in die Kirche eindringen, ein Denken das spaltet, ein Denken, welches das Eigene in den Mittelpunkt stellt und die anderen ausschliesst. Das zerstört: Es zerstört die Familie, es zerstört die Kirche, es zerstört die Gesellschaft, es zerstört uns selbst».
Kommen wir nochmals zurück zu Maria. Sie verharrte auch dann noch unter dem Kreuz, als ihr Sohn daran bereits gestorben war. Am Kreuz daneben aber hing noch lebend jener Mensch, der aus dem Mund Jesu vernommen hatte: «Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein». Ich liebe es, mir vorzustellen, dass Maria diesen Mann ermutigte und ihm sagte: «Was er dir gesagt, was er dir versprochen hat, das halte du voller Hoffnung fest».
Möge Maria uns ermutigen, in einem vom Heiligen Geist getragenen synodalen Weg die lokalen zusammen mit den universalen Stimmen wahrzunehmen, wie in einer Symphonie, damit wir schliesslich das tun, war ER uns sagt. Paul Vollmar wird sich ihr bestimmt anschliessen und ihr Eintreten für uns nach Kräften unterstützen. Amen.