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Bistum Chur

Predigt von Bischof Joseph Maria am Weihnachtstag

Allmächtiger Gott,
du hast den Menschen – in seiner Würde wunderbar erschaffen
und noch wunderbarer wiederhergestellt.
Lass uns teilhaben an der Gottheit deines Sohnes,
der unsere Menschennatur angenommen hat.

 

Liebe Mitbrüder
Liebe Christgläubige

Gott ist der Gott des Lebens, der Gott des Lichtes, der Gott der Wahrheit, der Gott der Liebe. Er ist DAS Leben, DAS Licht, DIE Wahrheit und DIE Liebe. Aus dieser unendlichen Quelle wurde – wie wir gehört haben – der Mensch wunderbar erschaffen. Der Mensch ist seit seiner Schöpfung ein Meisterwerk, da er Abbild des ewigen Sohnes des Vaters ist. Manchmal denken wir – rein chronologisch gedacht – dass zuerst der erste Mensch war und viele tausend Jahre später Christus die Gestalt dieses Menschen angenommen hat. Theologisch betrachtet aber wurde Christus von Ewigkeit her vom Vater als Sohn gezeugt und der erste Mensch wurde eben – wie gesagt – Abbild dieses Sohnes. Der vollkommene Mensch ist Christus, seit eh und je. Diese Realität kommt sehr schön zum Ausdruck, sowohl im Hebräerbrief, aus dem wir hörten, als auch im Prolog des Johannesevangeliums: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen.“

Gott hatte grösste Freude am Menschen. Er sah in ihm die Züge seines Sohnes. So schuf er ihm ein Paradies und dort verkehrte er mit den Menschen wie ein Vater mit seinen Kindern. Als der Mensch aber diese Beziehung verletzte, hat Gott sich damit nicht abgefunden und sich etwas noch Wunderbareres ausgedacht. Er ist in seiner Liebe einen höchst gewagten, weiteren Schritt gegangen. Wie wir auch im Tagesgebet hörten, hat Gott die Beziehung Gott-Mensch noch wunderbarer wiederhergestellt. Er ist selbst Mensch geworden, Erde, Vergänglichkeit, so ist er auf eine Weise  mit uns vereint, in Wesen und Natur, dass niemals und nichts diese Verbundenheit mehr trennen kann. Et verbum caro factum est. Und der Sohn ist Fleisch geworden.

Staunen wir nur: unser Fleisch ist Gottes Fleisch. Die Erde ist Himmel, das Unvollkommene ist vollkommen, der Tod ist durchdrungen vom Leben. Und ich frage jetzt: Erfassen wir es? Merken wir es? Entdecken wir es in unserem Alltag? Das Normalste, Banalste, Kleinste, Verborgenste, Bescheidenste, Unbedeutendste, das, mit dem wir uns am meisten beschäftigen, ist nun durchdrungen, erfüllt von der liebenden Anwesenheit Gottes. Alles ist Transzendenz und transzendent. Streng betrachtet dürften wir nie mehr Sakrales und Profanes trennen. Heute feiern wir das Hochzeitsfest, die Vereinigung von Gott und Mensch. Dadurch hat alles Irdische und Menschliche einen unendlichen Wert erhalten. Nochmals: Entdecken wir dies tagtäglich? Sind wir dafür genug dankbar? Freuen wir uns darüber?

Im Brief über die Bedeutung der Krippe vom 1. Dezember 2019 hat Papst Franziskus u.a. geschrieben: «Oft lieben es die Kinder, aber auch die Erwachsenen, der Krippe weitere Figuren hinzuzufügen, die scheinbar nichts mit den Berichten des Evangeliums zu tun haben. Doch solcher Einfallsreichtum will zum Ausdruck bringen, dass in dieser von Jesus erneuerten Welt Platz ist für alles Menschliche und für jedes Geschöpf. Vom Hirten bis zum Schmied, vom Bäcker bis zu den Musikern, von den Wasserkrüge tragenden Frauen bis zu den spielenden Kindern – all das steht für die Heiligkeit des Alltags, für die Freude, alltägliche Dinge auf aussergewöhnliche Weise zu tun, wenn Jesus sein göttliches Leben mit uns teilt».

Im Herrn Geliebte, wenn wir in diesen Tagen das kleine Jesuskind in der Krippe betrachten, entdecken wir uns selber dort? Und noch wichtiger: machen wir diese Entdeckung Tag für Tag während des Jahres? Der Alltag ist ein heiliger Alltag, ein Ort der Gottesbegegnung, ja ein Altar, weil Gott Mensch geworden ist. Als ich die Schilderung des Papstes las, musste ich an eine alte Predigt von Karl Rahner denken: «Gebet im Alltag, Gebet des Alltags! Wenn unser Alltag ein vom Gebet begleiteter und selbst gebeteter Alltag ist, dann münden diese armen, vergänglichen Tage unseres Lebens, die Tage der Gewöhnlichkeit und banalen Bitterkeit, die Tage, die immer gleich gleichgültig und mühsam sind, in den einen Tag Gottes, in den grossen Tag, der keinen Abend kennt.»

Es wäre ungerecht, wenn ich hier nicht einmal auch den hl. Josefmaria erwähnen würde, von dem ich direkt diese wunderschöne Realität der Göttlichkeit des Alltags gelernt habe. Ich hörte ihn persönlich im Jahre 1967 in einer Homilie sagen: Ich versichere euch, wenn ein Christ die unbedeutendste Kleinigkeit des Alltags mit Liebe verrichtet, dann erfüllt sich diese Kleinigkeit mit der Grösse Gottes. Das ist der Grund, warum ich immer und immer wieder betone, dass die christliche Berufung darin besteht, aus der Prosa des Alltags epische Dichtung zu machen. Himmel und Erde scheinen sich am Horizont zu vereinigen; aber nein, in euren Herzen ist es, wo sie eins werden, wenn ihr heiligmässig euren Alltag lebt.“

Liebe Brüder und Schwestern, die Begegnung Gottes im Alltag ist nur möglich, weil der göttliche Sohn Alltag mit uns werden wollte. Er ist klein geworden, um Alltäglichkeit werden zu können. Seit seiner Geburt in Bethlehem kann und sollte unser glanzarmes Tun ein leuchtender Stern sein, der anderen Menschen den Weg zu Gott zeigt. So betrachtet, kann unser Leben immer Weihnachten sein. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein gnadenreiches, frohes Weihnachtsfest. Amen.

 

Bischof Joseph Maria Bonnemain
Kathedrale Chur, 25. Dezember 2022