Liebe Äbtissin, liebe Äbte
Liebe Verantwortliche und Mitglieder der Gemeinschaften des geweihten
Lebens in unserem Bistum
Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder
Eine solche Anrede ist ein bisschen kompliziert, am liebsten würde ich Sie/Euch alle schlicht und einfach „Liebe Schwestern und Brüder“ nennen, da wir alle Geschwister sind.
Als Simeon sprach, staunten Maria und Josef über seine Worte; über das, was er über Jesus sagte. Von Maria wird, wie wir wissen, in der Heiligen Schrift berichtet, dass sie die Aussagen über Jesus in ihrem Herzen bewahrte und erwog. Aber wie wir eben gehört haben, staunte auch der Heilige Josef und war bewegt von dem, was Simeon ihnen offenbarte. Der Heilige Josef hat ohne viele Worte, ohne Aufsehen zu erregen, mitten in seinem Leben als Handwerker, das Leben des Herrn begleitet, betrachtet und darüber gestaunt. Er ist sozusagen „der für Jesus kontemplativ Tätige“. Ich meine, dass diese Überlegungen sehr gut zu unserer heutigen gemeinsamen Feier passen.
Ist es nicht das von uns allen gemeinsame Anliegen, ja, die Berufung, die uns einigt, im Stillen zu wirken und zu fördern, dass unsere Welt aufwacht und das Staunen vor dem Wirken Gottes wiederentdeckt? Das heisst: Einerseits da sein für Jesus – im Stillen, ohne grosses Aufsehen zu erregen –, Begleitende seines Wachsens in der Welt sein und andererseits die ganze Welt in Anbetracht der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zum Stauen zu bringen.
Ich habe den heutigen Tag wirklich erwartet, ich bin sehr froh und glücklich, dass wir hier sind; dass wir heute, zusammen mit allen, die aus verschiedenen Gründen nicht physisch da sein können, aber doch geistig mit uns verbunden sind, hier vereint sind. Ich möchte Ihnen/Euch allen zutiefst für die Bereitschaft zur Nachfolge Christi danken. Die Diözese, die Kirche und die Welt brauchen dringend Expertinnen und Experten des Staunens über die Menschwerdung Gottes. Das ist Ihre/Eure Berufung, das ist meine Berufung. Und es ist dringend notwendig, dass wir alle mit vereinten Kräften darauf hinwirken, dass das Volk Gottes intensiver aus der Freude über Gottes Nähe lebt.
Das heutige Tagesgebet schildert eine Dynamik, einen sich schliessenden Kreis, welcher in der lateinischen Formulierung noch prägnanter hervorsticht. Auf Deutsch heisst es, dass der eingeborene Sohn Gottes unsere menschliche Natur angenommen hat und dass Gott unser Leben und Denken läutern soll, damit wir mit reinem Herzen vor sein Antlitz treten.
In der lateinischen Sprache wird die Formulierung kompakter: „sicut Unigénitus Fílius tuus hodiérna die cum nostrae carnis substántia in templo est praesentátus, ita nos fácias purificátis tibi méntibus praesentári.“
Christus wurde in menschlichem Fleisch und Geist im Tempel dargestellt, steht so wie wir nun vor Gott, damit wir nach und nach – befreit und erlöst von der Ichhaftigkeit – mit unserem irdischen Wesen, ohne Ablenkungen und Allüren, nur noch staunen können. Es ist ein langer Weg – unser aller Weg – bis wir das Ziel erreichen können, nämlich das vollkommene Staunen über Gott und über den Menschen. Es geht um die Harmonie, um die Einheit zwischen Leib und Geist, Welt und Himmel, Diesseits und Jenseits. Die Klöster und alle anderen Gemeinschaften des geweihten Lebens sind Schule – Vorbild – dafür, und deswegen ausschlaggebend für den Weg der Erneuerung auf dem unsere Diözesen sich befinden. Es geht um die Förderung jener Verwandlung, welche in der heutigen Liturgie im Buch Maleachi zur Sprache kommt.
Mit dem himmlischen „Nur-noch-staunen“ – frei von jeglicher Langeweile – ist es längst nicht so weit. Im Herrn Geliebte, wir dürfen auf keinen Fall bereits das „Nunc dimittis“ einstimmen. Es gibt noch viel zu tun. Wir können den gegenwärtigen synodalen Prozess als eine Chance sehen, damit alle entdecken, wie sehr ihr Leben von Grund auf geweiht ist. Wenn wir die Kirche vertieft als Communio verstehen, als Gemeinschaft, wo die Grösse aller entdeckt wird, werden wir besser im Stande sein, vor dem Gottesgeheimnis im Anderen, im Gegenüber zu staunen. Eine partizipative Kirche ist eine Kirche, in der alle über das Können der Anderen zu staunen lernen. Und eine Kirche als Mission ist eine Kirche, in der jede und jeder die anderen mit der eigenen Fähigkeit zu staunen „anstecken“ kann. So betrachtet, kann ich nicht anders als nochmals Danke zu sagen, weil die geistlichen Gemeinschaften – manche seit Jahrtausenden – Experten und Schulen der Communio, der Partizipation und der Mission sind.
Das heutige Fest wird volkstümlich auch „Maria Lichtmess“ genannt, an diesem werden üblicherweise Kerzen gesegnet. Ich habe mir überlegt, ob auch wir hier heute Kerzen segnen sollten, damit alle eine solche Kerze mit nach Hause nehmen können. Doch ich bin zum Schluss gekommen, dass wir selber die Kerzen sind, die angezündet werden müssen und leuchten dürfen. Ich denke, das gemeinsame Anliegen in der heutigen Eucharistiefeier sollte sein, Feuer zu fangen, um dann in dankbarem Stauen in die eigene Realität zurückzukehren und dort das Licht des Herrn weiterzugeben. Amen
Chur, 2.2.2022