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Bistum Chur

Predigt von Bischof Joseph Maria in der Heiligen Nacht

Liebe Mitbrüder
Liebe Christgläubige

Zuerst muss ich Ihnen gestehen, dass ich mit der Vorbereitung der heutigen Predigt lange gerungen habe. Aufgrund der Lage in unserer Welt war ich bezüglich der Ausrichtung meiner Predigt unsicher. Der Papst hat sich in den letzten Tagen wiederholt bedrückt und traurig geäussert, weil die Menschen in der Ukraine unter dem Horror des Krieges leiden müssen, wie auch anderswo in der Welt. Er hat dafür plädiert, mit Geschenken sehr bescheiden umzugehen und das, was wir dafür ausgeben würden stattdessen für die Leidenden in der Ukraine zu spenden.

Sein Anliegen ist berechtigt: ist es angebracht, dass wir uns gegenseitig reichlich beschenken, überall glänzende und leuchtende Dekorationen einrichten, üppige Festmahlzeiten vorbereiten usw.? Ist das nicht ein Affront? Ist es überhaupt noch zulässig, Weihnachten zu feiern? Eben: genau da war ich unsicher. Schliesslich aber ist mir klar geworden, dass wir umso mehr und umso kräftiger und entschiedener Weihnachten feiern müssen! Dies aber im richtigen Sinn, mit Tiefgang, als Fest des Glaubens. Es geht darum, dass wir in innerster Überzeugung, im Licht des Glaubens das Kommen des neugeborenen, göttlichen Kindes unter uns feiern.

Ich habe mich gefragt: wie konnte Maria mitten in der Nacht, im Dunkeln, in der Kälte, ohne jegliche Mittel, geplagt von schmerzlichen Geburtswehen, feiern? War es ihr zum Feiern zumute? Konnte sie in diesem Augenblick ihr Magnificat weitersingen? Sie sah nur ein kleines, winziges Neugeborenes. Konnte sie noch sagen: Meine Seele preist die Grösse des Herrn, weil der Mächtige Grosses an mir getan hat? Es war nur ein kleines Baby, wo war das Grosse? Nur im Licht des Glaubens, mitten im Dunkeln konnte Maria auch an die Worte des Propheten Jesaja, die wir vorher gehört haben, denken: «Über denen, die im Land des Todesschattens wohnten, strahlte ein Licht auf (…). Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. (…) der Fürst des Friedens.»

Liebe Christgläubige, es ist meine Überzeugung: gerade in diesem Jahr sind wir beinahe dazu verpflichtet, mit mehr Intensität, in der Tiefe unseres Herzens das Kommen dieses Friedensfürsten zu feiern. Gestern, am Freitag, las ich während der hl. Messe die Worte des Propheten Maleachi, der schreibt: «Seht er kommt!» Diese Botschaft, dieser Aufruf hat mich zutiefst berührt. Wenn wir in dieser Nacht am Schluss der Eucharistiefeier in die Welt hinausgehen werden, sollten wir uns über diesen Auftrag bewusst sein. Die ganze Welt muss von uns hören können, dass ER kommt, dass ER gekommen ist, dass ER uns Menschen nicht im Stich lässt, dass ER wagt, überall hinzugehen, wo Krieg herrscht, um Frieden zu bringen. ER will im Dunkel mit uns sein, damit gerade dort die Helligkeit der Liebe gegenwärtig wird.

Auch die Hirten in Betlehem hielten Wache, mitten im Dunkeln. Die Geburt Jesu verwandelte ihre Lage total. Sie wurden von der Herrlichkeit des Herrn umstrahlt. Sie wurden Empfänger der grossen Freude, da Christus Frieden auf Erden bringt, jenes Kind, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt. Das heisst: der Friede legt sich über die Erde – ganz klein. Es ist ein kleiner Schritt, doch der unentbehrliche, wirksame, erste Schritt. Maria und Josef haben die Verantwortung für das Wachstum dieses Kleinen übernommen.

Liegt nicht hier die Antwort auf die Frage, wie wir heute richtig feiern sollten? Es geht im Grunde darum, Weihnachten endlich richtig zu feiern, das heisst mit mehr Entschlossenheit zu erlauben, sich einzusetzen, dass Jesus unter uns und in uns, in jedem von uns, Gestalt annimmt, wächst und gross wird. Ich plädiere dafür, dass unsere Feier darin besteht, bewusster, sorgfältiger, dezidierter – das ist die Deutung des Begriffes Feiern – die Anwesenheit Gottes in der Welt zu fördern, zu ermöglichen, zum Wachsen zu bringen. Gleichzeitig bedeutet es auch, selber – vielleicht ganz kleine – aber bewusste Schritte des Friedens zu tun. Es geht darum, selber Friedensstifter zu werden, den Frieden zu wagen, sich für die Geschwisterlichkeit zu entscheiden.

In der Theorie sind wir alle damit einverstanden. Aber eben: es soll nicht Theorie bleiben, nicht etwas Pseudofrommes sein. Unsere Bereitschaft, in der neuen Art zu feiern, sollte in konkreten Gesten und Zeichen des Friedens Ausdruck finden. Wenn wir in den nächsten Tagen – jeder kann sich überlegen, wie und wo er das tut – eine konkrete Geste des Friedens wagen, haben wir einen von den eben erwähnten ersten Schritten hin zum Frieden getan. Und dann werden alle, die unter Krieg und Gewalt leiden, geheimnisvoll spüren können, dass wir sie nicht im Stich lassen.

Im Herrn Geliebte, sagen wir überall, sagen wir es überzeugt, sagen wir es aber glaubwürdig und mit konkreten Gesten: «Seht, er kommt!» Seht, der Fürst des Friedens ist für uns in die Welt gekommen. Der Friede ist da für uns. Er braucht nur von uns angenommen zu werden. «Und der Friede wird kein Ende haben.» Amen

Bischof Joseph Maria Bonnemain
Kathedrale Chur, 24. Dezember 2022