Sir 15, 15-20; Mt 5, 17-37
Unsere Reaktion, wenn wir die heutigen Worte Christi hören, könnte sein: “Das ist doch übertrieben und sogar unmöglich! Warum interpretiert Jesus die Gebote so radikal?”.
Die erste Lesung dieses Tages bietet uns eine erste Lösung: Leben heisst Wählen! Wählen zwischen Gut und Böse. Das hat zum Beispiel unser lieber verstorbener Dompropst Christoph Casetti menschlich und seelsorgerisch vorbildlich verstanden und gelebt, dies ganz besonders als vom Bischof beauftragter Exorzist. Wählen zwischen Leben und Tod! Wählen zwischen Glück und Unglück. Ja, wir sind frei, nicht dazu, um alles tun zu können, sondern um zu lieben, wie es Jesus getan hat. Das Gesetz Gottes, das Moses dem Volk übermittelt hat, weist auf einen Weg hin und setzt Markierungen. Es sagt zu uns: “Wenn Du diesen Weg verlässt, wenn Du außerhalb dieser Markierungen läufst, riskierst Du, Dich zu verlieren!”.
Warum hat Jesus diesem Gesetz noch Anforderungen hinzugefügt? Weil er will, wie es weiter in diesem Kapitel des Matthäusevangeliums heisst, dass wir vollkommen sein sollen, wie unser himmlischer Vater vollkommen ist. Die Berufung des Menschen ist kein ewig dauernder Vergnügungspark, zu dem er Zugang hätte, wenn er nicht getötet und gestohlen hätte. Unsere Berufung ist die Vergöttlichung. Jesus sagte: “Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz: ‘Ich habe gesagt: Ihr seid Götter’?” (Joh 10,34).
In Gott gibt es nur Raum für die Liebe. Alles andere wird wie Stroh verbrannt. Was Jesus reinigen will, ist das Herz, das Zentrum des verwundeten, durch das Böse und die Nichtliebe verhärteten Menschen. Deshalb verlangt er von seinen Jüngern, das Gesetz tief zu verinnerlichen. Die Lüge abzulehnen bedeutet also, unsere Worte und Handlungen in Einklang zu bringen. Lieben ist immer ein Ausstieg aus sich selbst, ein Verzicht und damit oft ein Ringen. Die Liebe kann das Kreuz nicht vermeiden. Lieben heißt, das Oberflächliche für das Ewige abzulehnen. Lieben heißt, uns nach dem Bild der Liebe, die Gott ist, im Alltag gestalten zu lassen.
Meine Lieben, hier nur zwei Beispiele, denn oft sprechen Beispiele viel besser als alles andere: In seinem schönen Roman “La puissance et la gloire”, schreibt Graham Greene über seinen armen Priester, der erschossen werden soll: “Er wusste jetzt, dass am Ende nur eines wirklich wichtig ist: ein Heiliger zu sein. Wenn es einfach darum ginge, nicht Ehebruch zu begehen, nicht zu töten, nicht mehr als Auge um Auge und Zahn um Zahn zu fordern, könnten wir uns leicht in der Lage und dazu fähig fühlen. Wenn wir aber dem Ruf Jesu treu sein wollen, in der Reinheitsabsicht bis zur Liebe des Feindes, wenn es bedeutet, immer mehr zu geben, als wir gefragt werden, die Beziehung zu unseren Mitmenschen wieder herzustellen, wenn sie zerbrochen ist, dann sind wir nicht weniger als zur Heiligkeit berufen”.
Das zweite Beispiel: Anne von Österreich vertraute sich dem Heiligen Vinzenz von Paul so an: “Ich wollte alles, Monsieur Vincent, und ich hatte alles… alles, wovon das kleine Kind in ihrem Escurial träumte: das schönste Königreich der Welt, die schönste Liebe… die schönsten Diamanten. Aber zwischen diesem gierigen kleinen Mädchen und dieser alten Königin voller Ruhm und Juwelen, die gerade hier vor Ihnen träumt, scheint es mir jetzt, dass es nur einen großen leeren Traum gab. Ich habe nichts getan… Sie, Monsieur Vincent, der nur daran gedacht hat zu geben, fühlen Sie auch in der Nähe des Todes dieses große leere Loch hinter Ihnen? – Ja, gnädige Frau. Ich habe nichts getan! – Was braucht es dann in einem Leben, Monsieur, um etwas zu tun?” –“Mehr!”.
Meine Lieben, mehr Qualität, mehr Liebe: In der Haltung stolpernder Kinder setzen wir alle, die wir noch laufen lernen und in der Nachfolge Jesu noch mehr tun sollen, diese heilige Eucharistie fort, unserer Schwachheit bewusst, aber noch inniger und klarer bewusst des Vertrauens in Gottes unendliche Liebe. Amen