Am 1. November 1950 hat Papst Pius XII. die Lehre, dass Maria mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde, als Glaubenssatz verkündet und damit die seit alters her vorhandene christliche Glaubensüberzeugung endgültig bestätigt. Das Fest „Mariä Himmelfahrt“, richtiger das Fest Mariä Aufnahme in den Himmel, ist in der Ostkirche schon bald nach dem Konzil von Ephesus (431) aufgekommen.
Liebe Brüder und Schwestern, indem sie unsere Kathedrale von Chur Maria, ihrer Aufnahme in den Himmel, widmeten, bezeugten unsere Vorfahren in grossartiger Weise unsere Verbundenheit mit Maria, der Mutter der Kirche. Damit bestätigten sie die unzähligen Menschen, die im Laufe der Geschichte keine Angst hatten, dieser so guten Mutter ihr Vertrauen zu schenken.
Ich möchte heute dazu nur drei Zeugnisse zitieren, die zu uns in diesem Sinne sprechen:
Die Heilige Klara von Assisi sprach vor ihrem Tod diesen wunderbaren Satz aus: „Ich danke Dir, Herr, dass Du mich erschaffen hast“. Das bedeutet: Indem Du mich erschaffen hast, hast du wirklich zu deinem Ruhm gehandelt. Die Schwester, welche bei der Hl. Klara am Tag vor ihrem Tod gewacht hat, sah die Jungfrau Maria an ihr Bett kommen. Thomas von Celano erzählt: „Hier kommt eine Menge Jungfrauen in weissen Kleidern, die alle goldene Kronen auf dem Kopf trugen. Unter ihnen rückt eine Jungfrau vor, die strahlender ist als die anderen und mit einer Pracht erstrahlt… die so gross ist, dass sie die Nacht, die im Hause herrscht, in Tageslicht verwandelt“. Möge es für uns auch so ähnlich sein! Wenn wir treu sind, wird auch unser Tod mehr als nur ein physischer Tod sein. Dann können wir uns Maria anschliessen, die schon auf Erden unsere Mutter auf Erden gewesen ist. Wir werden die Herrlichkeit Mariens, Königin des Himmels und der Erde, in der Anwesenheit ihres glorreichen Sohnes betrachten, der zur Rechten des Vaters sitzt und vom Heiligen Geist erfüllt ist.
Das zweite Beispiel ist das der kleinen Thérèse von Lisieux. Sie wollte so viel über die Jungfrau Maria sprechen, weil sie feststellte, dass die Priester sie zu einer Göttin machten. Und sie sagte: „Nein, sie ist keine Göttin, sie steht uns sehr nahe!“. Ja, das Dogma Mariä Himmelfahrt bringt uns letztendlich der Muttergottes näher. Denn es ist so, wie es die Präfation dieses Festtages sagt: „Heute hast du die jungfräuliche Gottesmutter in den Himmel erhoben, als Erste empfing sie von Christus die Herrlichkeit, die uns allen verheissen ist, und wurde zum Urbild der Kirche in ihrer ewigen Vollendung. Dem pilgernden Volk ist sie ein untrügliches Zeichen der Hoffnung und eine Quelle des Trostes“.
Schliesslich als drittes Beispiel: Nach einer gesunden Mariologie folgen wir auch heute noch dem, was der Hl. Maximilian Maria Kolbe sagte: „Habt keine Angst, die Unbefleckte zuviel zu lieben, denn ihr werdet sie nie im gleichen Masse lieben können wie sie Ihr Sohn Jesus geliebt hat!“. Eine solche Haltung kann uns auch im ökumenischen Gespräch, was Maria betrifft, sehr hilfreich sein. Denn oft hören wir den Vorwurf, dass wir sie zuviel ehren! Aber das ist nicht so: Denn durch ihre Aufnahme in den Himmel, nach der Auffahrt Christi, hat sie uns allen den Weg gezeigt. Und im Glaubensbekenntnis verkünden wir ja unseren Glauben an dieses neue Leben: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“.
Liebe Brüder und Schwestern, das Fest Mariä Aufnahme in den Himmel zu feiern, sagt uns allen, wohin wir gehen. Das Feiern dieses Festes sagt uns, dass wir eines Tages wie die Jungfrau Maria völlig frei von Sünde sein sollen. Das bedeutet, und dies ist wichtig für unser eigenes spirituelles Leben, dass dieses Fest ein grosses Zeichen der Hoffnung für uns alle ist: Im Himmel werden wir von der Sünde befreit sein; denn wir sind nicht dazu geschaffen, für immer in der Sünde zu leben. In Maria zeigt uns Gott die Kirche in ihrem Wesen: Sie ist „die Braut, die heilig und untadelig und ohne Flecken und Runzeln ist“. Das fasst das Gebet dieses Festtages vorragend zusammen:
Allmächtiger, ewiger Gott,
du hast die selige Jungfrau Maria,
die uns Christus geboren hat,
vor aller Sünde bewahrt
und sie mit Leib und Seele
zur Herrlichkeit des Himmels erhoben.
Gib, dass wir auf dieses Zeichen
der Hoffnung und des Trostes schauen
und auf dem Weg bleiben,
der hinführt zu deiner Herrlichkeit. Amen
Predigt von Bischof Peter Bürcher am 15. August 2020 in der Kathedrale von Chur am Fest Mariä Aufnahme in den Himmel
© 2024 Bistum Chur