Brüder und Schwestern im Herrn,
um das Geheimnis der Aufnahme Marias in den Himmel zu verstehen, sollten wir auf zwei Worte unseres Herrn zurückgreifen. Es sind beides Worte aus dem Johannesevangelium. Das erste Wort lautet: Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor Grundlegung der Welt (Joh 17,24). Jesus will die Seinen zu sich holen. Er will sie heimholen und bei sich haben. Das Sterben des Menschen ist der Augenblick, da der Herr dieses sein Wort einlöst. Dass dies für die Gottesmutter und Jungfrau Maria in besonderer Weise gilt, ist einleuchtend. Hat sie doch als Gottesmutter unter uns Menschen eine besondere Stellung. Wenn der Herr sagt: Ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin, dann gilt das für die Gottesmutter erst recht. Der Herr will, dass seine Mutter dort ist, wo er ist.
Das andere Wort findet sich auch im Johannesevangelium. Bei Joh 14,2-3 lesen wir: Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Jesus bereitet den Seinen einen Platz im Haus seines Vaters vor. Damit meint er natürlich einen Platz im Himmel. Auch da dürfen wir sagen: Jesus hat gewiss auch der Gottesmutter einen Platz vorbereitet, als er nach seiner Auferstehung zum Vater zurückkehrte.
Diese Aussagen sind zwei Grundpfeiler in Bezug auf das ewige Leben, welche in sich für alle Gläubigen gelten. Deshalb sollten alle Gläubigen diese Wort des Herrn noch und noch in Erinnerung rufen und sie bedenken. Denn es sind Worte der Hoffnung und der Zuversicht. Es sind Worte, welche uns in den Wechselfällen dieses Lebens und vor allem im Hinblick auf unser Sterben Halt und Festigkeit schenken. Wir wissen, dass der Herr für uns über unser Sterben hinaus besorgt ist. Wir wissen, dass der Herr uns einmal abholen wird. Sagt er doch: Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Natürlich sagt der Herr diese Worte den Jüngern. Sie sind die Empfänger dieser Worte. Sie gehören zu den Abschiedsworten des Herrn. Bestimmt gelten sie aber auch jenen, die auf die Verkündigung der Jünger hin glauben.
Nun kommt bei der Gottesmutter ein Drittes, ja sogar ein Viertes hinzu. Von Anfang an hat die Kirche geglaubt, dass die Gottesmutter als die gebenedeite unter den Frauen (Lk 1,42) als die gebenedeite unter den Menschen, als die Ersterlöste dem Herrn so eng verbunden ist, dass auch ihr Sterben in jeder Hinsicht dem Sterben des Herrn entspricht.
Der Herr hat bei seinem Sterben die Verwesung nicht geschaut, sagt uns die Apostelgeschichte (vgl. Apg 2,27). Er ist im unverwesten Leib, ohne jede Spur der Verwesung, am dritten Tage in Herrlichkeit auferstanden. Er ist ebenso im unverwesten Leib vierzig Tage nach seiner Auferstehung zum Himmel hingegangen (vgl. Apg 1,11). So hat auch die Gottesmutter, der heilige Leib der Gottesmutter, der Leib, der Jesus empfangen hat, die Verwesung nicht geschaut. Und nicht nur dies, und das wäre das Vierte: Der Herr hat sie in ihrem Leib zu sich geholt. Er hat sie in ihrem unverwesten Leib zu sich geholt. Er hat seine Mutter mit Leib und Seele ins Haus des Vaters geholt, in eine der vielen Wohnungen dieses Hauses. Dankbar schauen wir auf dieses Ereignis. Es offenbart uns die Macht und Größe unseres Herrn. Denn auch diesbezüglich würde der Engel Gabriel sagen: Denn für Gott ist nichts unmöglich (Lk 1,37). Wer irgendwelche Zweifel oder Schwierigkeit hat mit der Glaubenswahrheit der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel, soll immer wieder zurückgreifen auf diese bedeutenden Worte des Engels: Denn für Gott ist nichts unmöglich (Lk 1,37). Amen.