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Bistum Chur

Predigt von Bischof Vitus Huonder anlässlich der Altarweihe in Erstfeld/UR am Sonntag, 21. Oktober 2018

Brüder und Schwestern, was ist eine Kirche? Die meisten Menschen wissen gar nicht mehr, was eine Kirche ist. Für einige ist es ein Gebäude unter anderen Gebäuden. Viele besuchen Kirchen, weil sie einen histori­schem Hintergrund haben und einen künstlerischen Wert besitzen. Was eine Kirche in sich ist, davon haben sie kaum eine Ahnung.
        Das verhält sich so nicht nur bei unseren Gästen aus dem fernen Osten. Mehr und mehr stellen wir dies auch bei unseren Mitbewohnern und Nachbarn fest. Das zeigt sich zum Beispiel bei den Kindern und Jugendlichen, die sich in einem Kirchenraum oft wie in einer Gymnastikhalle oder in einem polyvalenten Gebäude bewegen. Von Ehrfurcht gegenüber dem Kostbarsten, was wir in unseren Kirchen im Tabernakel aufbewahren, gegenüber dem allerheiligsten Sakrament des Altares, ist keine Rede mehr. Dabei möchte ich diesen jungen Menschen keine Schuld zuweisen. Sie wurden nie richtig auf den Kirchenbesuch vorbereitet und nicht ernsthaft auf das Verhalten in der Kirche hin erzogen.
        Das Kirchengebäude ist keine Konzerthalle. Die Kirche ist kein profaner Treffpunkt. Die Kirche ist kein Rathaus. Die Kirche ist kein Parlament. Die Kirche ist ein Gotteshaus. Die Kirche ist gottgeweiht. Die Kirche ist vor allem ein Haus der Anbetung Gottes. Das Gotteshaus ist ein Haus des Gebets, lesen wir beim Propheten Isaias (Jes 56,7). Mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt werden, sagt Gott über den Tempel von Jerusalem (Jes 56,7).
        Der Mittelpunkt des Gebetes in einer Kirche ist der Altar. Mit dem Wort Altar ist ein Begriff verbunden, den wir zu wenig beachten, der immer mehr verloren geht, nämlich der Begriff Opfer. Auf dem Altar wird Gott das Opfer dargebracht. Das Opfer ist ein Ausdruck des Gebetes, wohl des wichtigsten Gebetes, des Sühnegebetes. Denn das Opfer soll bei Gott Vergebung unserer Schuld, unserer Sünden bewirken. Der Mensch darf sich Gott nur in einem sündenlosen, in einem schuldlosen Zustand nähern, sagen uns verschiedenen Stellen der Heiligen Schrif­t.  Das Opfer nun wird für uns zum Durchgang, zum Tor der Gottesbegegnung. Ohne das reinigende Opfer gibt es für uns keinen Zugang zu Gott. Es ist das reinigende Wasser, von dem der Prophet Ezechiel spricht: Wohin der Fluss kommt, dort bleibt alles am Leben (Ez 47,9). Wo das Sühneopfer dargebracht wird, da bleibt alles am Leben.
        Das Opfer auf unseren Altären ist das Kreuzesopfer, das Opfer, welches unser Herr für uns leidend und sterbend am Kreuz dargebracht hat. Dieses Opfer ist das Gebet, über welches Jesus die Samariterin belehrt, Gott müsse im Geist und in der Wahrheit angebetet werden: Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden (Joh 4,23).
        So oft der Priester am Altar das heilige Messopfer dar-bringt, wird Gott, der Vater, im Geist und in der Wahrheit angebetet. Indem wir uns vor dem Altar versammeln und der Handlung des Priesters folgen, nehmen wir an der wahren Anbetung Gottes teil. Wir werden, entsprechend den Worten des ersten Briefes des Apostels Petrus, zu einer heiligen Pries­terschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen (1 Petr 2,5). Durch die Teilnahme am heiligen Mess­opfer, beten wir Gott im Geist und in der Wahr­heit an, wir beten den Vater so an, wie er angebetet sein will: Durch das Opfer seines Sohnes, der die Wahrheit ist, in der Kraft des Geistes, den der Sohn uns gesandt hat, also: im Geist und in der Wahrheit.
        Damit können wir die Bedeutung der heutigen Altarweihe erkennen. Die Altarweihe ist wohl eines der größten und bedeutendsten Geschenke, welches ein Bischof den Angehörigen einer Pfarrei machen kann. Er übergibt ihnen den Ort des Opfers, den Ort der Versöhnung mit Gott, den Ort der Anbetung im Geist und in der Wahrheit. Hier vermag der Priester seinen Auftrag als Priester zu erfüllen. Der Dank für dieses Geschenk sollte die regelmäßige Teilnahme des Volkes Gottes am heiligen Mess­opfer sein. Amen.