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Bistum Chur

Predigt von Bischof Vitus Huonder beim Festgottesdienst des Hilfswerkes „Kirche in Not“ vom Sonntag, 4. November 2018 in Neuenkirch LU

Brüder und Schwestern im Herrn,

Jesus antwortet dem Schriftgelehrten auf die Frage, welches das erste Gebot von allen sei (Mk 12,28-34). Der Mann stellt damit die Frage nach jenem Gebot, von welchem das ganze Leben des Menschen ausgehen muss. Er stellt die Frage nach dem entscheidenden Gebot. Das beschäftigt ihn. Darauf erwartet er eine Auskunft von unserem Herr­n.
        Jesus antwortet mit einem Zitat, mit einem Bibelzitat. Damit will er die Bedeutung des Glaubens seines Volkes, des Volkes Israel unterstreichen. Er greift auf die Heilige Schri­ft zurück. Er stellt sich damit hinter die Heilige Schrift als Wort Gottes: Höre, Israel, der Herr, unser Gott ist der einzig Herr. Darum sollst du den Herr­n, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft (Mt 12,30).
        Indem Jesus ein Wort aus dem Buch Deuteronomium anführt (vgl. die erste Lesung), wo vom Herrn (JHWH) die Rede ist – der Herr, unser Gott– , weist er auf den Gott der Offenbarung hin. Denn unter dem Wort Herrn ist der Eigenname Gottes verborgen. Jesus sagt damit: Unser Gott ist der Herr, der sich Moses kundgetan hat. Das ist mehr als der Glau­be an einen Gott. Das ist der Glau­be an Gott, so wie er sich offenbart hat, wie er sich Moses offenbart hat, wie er sich immer wieder den Propheten offenbart hat. Der Mensch soll nicht irgend einen Gott lieben. Er soll den Gott lieben, der sich offenbart hat. Er soll den Gott lieben, der sich dem Moses und den Propheten kundgetan hat. Er soll den Gott lieben, der durch Moses und die Propheten mit dem Menschen einen Bund geschlossen hat. Er soll den wahren Gott lieben. Der wahre Gott ist der Gott der Offenbarung; der Gott, der sich selber kundgetan hat und von dem die Heilige Schrift spricht.
        Was bedeutet dies für den Menschen? Für den Menschen bedeutet dies: Er soll an den Gott der Offenbarung glauben. Er soll sich nicht irgend ein Bild von Gott machen. Er soll sich nicht irgend eine Vorstellung von Gott zurecht legen. Er soll den Gott der Offenbarung annehmen und auf dem Weg des Gottes der Offenbarung wandeln. Für den Menschen bedeutet dies weiter: Er soll den Gott der Offenbarung bezeugen. Für diesen einen Gott soll er sein Leben einsetzen. Deshalb betont der Schriftgelehrte, der eben mit Verständnis antwortet (Mk 12,34): Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm (Mk 12,32). Es ist dieser alleinige Gott, den der Mensch anerkennen, anbeten und lieben soll. Nicht der Gott unserer Phantasie ist Gott, sondern nur der Gott der Offenbarung, der Herr.
        Dieser alleinige Gott erhält, durch den Höhepunkt der Offenbarung, durch die Offenbarung des Sohnes Gottes Jesus Christus, den neuen Namen: Vater unseres Herrn Jesus Christus (Röm 15,6; 2 Kor 11,31; Eph 1,3.17; Kol 1,3 und 1 Petr 1,3). So glauben wir an den einen und einzigen Gott, an den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Ebenso haben wir den Auftrag und die Pflicht, diesen einen und einzigen Gott zu bezeugen: Den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
        Was dieser Auftrag und diese Pflicht bedeuten, das erfahren wir ganz besonders angesichts der Verfolgung so vieler Brüder und Schwestern im Glauben. Sie sind nicht gewalttätig. Sie sind nicht hinterhältig. Sie sind nicht gemein. Sie greifen nicht an. Sie wollen ihren Glauben leben und bezeugen. Sie wollen nicht zum Abfall vom Glauben gezwungen werden. Sie wollen dem empfangenen Glauben treu bleiben und Gott im empfangenen Glauben verehren und anbeten. Dafür werden sie in vielen Ländern oft verfolgt, benachteiligt und auch getötet. Wir wollen sie mit unserem Gebet unterstützen, aber auch mit Interventionen, mit Informationen, mit Projektarbeit im Sinne und mit der Hilfe von Kirche in Not.
        Damit kommen wir zurück zur Antwort von Jesus im heutigen Evan­gelium. Jesus fügt dem ersten Gebot unmittelbar ein zweites hinzu, ja, er verschmilzt die beiden Gebote gleichsam miteinander: Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Mk 12,31). Und alsdann sagt Jesus­: Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. Auf diese Weise unterstreicht er, was der Glaube an den Gott der Offenbarung bedeutet: Die wohlwollende Zuwendung zum Mitmenschen. Das bewegt uns umso mehr, unseren bedrängten Brüdern und Schwestern im Glauben zu helfen, aber ebenso für jene zu beten, welche sie, möglicherweise durch eine falsche Vorstellung und Ideologie, bedrängen und bekämpfen. Möge eben der Gott der Offenbarung sie erleuchten und der Vater unseres Herrn Jesus Christus ihnen Erbarmen und Umkehr schenken. Amen.