Navi Button
Bistum Chur

Predigt von Bischof Vitus Huonder in der Hl. Messe anlässlich des Studierendentreffens vom 17. Februar 2019

Gerne möchte ich heute ein Wort zum Antwortpsalm sagen, nämlich zu Psalm 1. Gleich der Beginn fordert uns heraus. Denn es liegen zwei verschiedene Übersetzungen vor. Die eine lautet: Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt … Die andere, im neuen Lektionar verwendete, liest: Selig der Mann, der nicht nach dem Rat der Frevler geht
        Ich bin dankbar, dass die Redaktoren der neuen Einheitsübersetzung wiederum auf die alte Ausdrucksweise zurückgegriffen haben, auf das vertraute „selig“. Auf diese Weise wird uns der Zusammenhang mit den Seligpreisungen des Evangeliums – heute bei Lukas (6,20-26) – bewusst. Hier wie dort geht es um dieselbe Aussage. Wir stellen auch fest: Mit den Seligpreisungen greift Jesus auf eine bedeutende Sprachform der alttestamentlichen Schriften zurück. In den Seligpreisungen kommt ein wichtiger Aspekt der Frömmigkeit des Alten Bundes zum Ausdruck. Jesus erinnert die Menschen an die Offenbarung vergangener Zeit, frischt diese Offenbarung sozusagen auf, erweitert sie mit Blick auf das Evangelium. Wenn die Menschen Jesus hören, spüren sie gleich: Er sagt uns Vertrautes. Seine Sprache entspricht der Sprache, welche wir aus den heiligen Schriften kennen: Selig der Mann, der nicht nach dem Rat der Frevler geht, nicht auf dem Weg der Sünder steht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern sein Gefallen hat an der Weisung des Herrn, bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt.
        Psalm 1 ist wie ein Werbespot, ein Werbespruch für das Buch der Psalmen. Der Psalter ist in erste Linie ein Gebet- und Gesangbuch. Er ist mit Hinweisen für die gesangliche Anwendung der einzelnen Dichtungen versehen. Er ist fein gegliedert und geordnet und führt uns durch die ganze Erlebniswelt des Volkes Gottes und einzelner Frommer. Er ist sehr stark mit der Gestalt und dem Amt des Königs verbunden. Zu einem gewissen Zeitpunkt, möglicherweise angesichts der großen Krise des Frühjudentums, nach dem Verlust des Tempels und dessen Profanierung, ist er als Buch für die Gemeinschaft mehr und mehr auch zum Meditationsbuch des einzelnen Frommen, des Armen geworden, ebenso ein Gebetbuch für das Opfer des Lobes, welches das fehlende Opfer des Tempelgottesdienstes in etwa ersetzt.
        Psalm 1 motiviert den Beter, den Psalter in die Hand zu nehmen. Er motiviert zum ständigen Erwägen des Wortes Gottes. Wer dieses Buch meditiert und mit ihm zusammen die Tora Gottes betrachtet – der Psalter ist ein Begleiter zur Tora – der wird selig, der wird glücklich.
        Der französische Gelehrte André Chouraqui, von Haus aus Jude und mit der jüdischen Psalmeninterpretation bestens vertraut, übersetzt das Buch der Psalmen vom Urtext her manchmal sehr eigenwillig. Er stößt sich denn auch an der Übersetzung „selig“ für das hebräische אַשְׁרֵי. Für ihn ist dies eine „unglückselige“ Übersetzung. Er selber gibt den Ausdruck mit en marche wieder. Deutsch heißt das wohl in Bewegung, auf dem Weg, unterwegs. In Bewegung ist der Mensch, der das Wort Gottes beachtet und über die Weisung Gottes nachsinnt. Das bedeutet dann auch: Er ist auf dem Weg zum guten Ziel. Er orientiert sich richtig.
        Der Ausdruck selig im Sinne der biblischen Offenbarung hat wohl auch diese Bedeutung der Bewegung und des Unterwegsseins. Beide Ausdrucksweisen lassen sich durchaus miteinander verbinden. Selig ist, wer auf dem Weg der Gebote geht. Selig hat dann nicht nur einen indikativen Sinn. Der Ausdruck erhält auch eine kohortative Bedeutung als Aufforderung, Ermunterung, Anregung, Zuspruch: Mach dich auf den Weg! Orientiere dich! Orientiere dich an Gottes Weisung! Orientiere dich am offenbarenden Gott. Es wird ja der unaussprechliche Name des Herrn genannt, also des Gottes der Offenbarung. Es ist nicht der Gott unzulänglicher menschlicher Vorstellungen, sondern der wahre Gott.
        Der Ausdruck „selig“ kann aber auch eine Bestärkung sein. Der Dichter will seinen Leser für den Weg des Glaubens ermutigen: Du bist auf dem rechten Weg, wenn Du dich von Gottes Weisung leiten lässt. Du gehst auf das gute Ziel hin. Du darfst dich davon nicht abbringen lassen. Du wirst aufblühen. Du wirst Frucht bringen. Du wirst nicht verdorren. Du bist wie ein Baum, gepflanzt an Bächen voll Wasser, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was du tust, wird dir gelingen. Lassen auch wir uns von diesem Psalm auf unseren Glaubensweg stärken. Ja, lassen wir uns von ihm begeistern für die Weisung des Herrn und vor allem für den Einsatz im Dienst des Evangeliums: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein (Lk 6,22-23). Amen.